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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Ohrensausen, Schwindelgefühl und sah einen gelben Nebel vor den Augen. Er wagte nicht, sich schlafen zu legen, da er fürchtete, blind zu sein, wenn er wieder aufwachte. Seine folgenden Erinnerungen sind zusammenhanglos.
    Gegen Ende des Gesprächs wird der Patient gefragt, wie er sich fühle:
     
Das Schlimmste im Moment sind die Träume – eigentlich sind es nicht mal Träume, denn mitten in einem normalen Gespräch kann mit großer Deutlichkeit das Gesicht eines Deutschen vor mir auftauchen, den ich mit dem Bajonett niedergestochen habe, und ich höre das entsetzliche Gurgeln und sehe das verzerrte Gesicht. Oder ich sehe den Mann, den einer unserer Männer durch einen Schlag in den Nacken mit einer großen Machete enthauptet hat.  34 Bevor der Mann fiel, sprudelte das Blut hoch in die Luft. Und der grässliche Gestank! Wissen Sie – ich kann es schon kaum ertragen, wenn Fleisch auf den Tisch gestellt wird. Und es ist furchtbar und quälend, dass direkt unter unserem Fenster diese Schlachterei liegt. Ich versuche jeden Tag, mich daran zu gewöhnen.
     
    Der Patient will zurück an die Front, um an der großen Schlussoffensive teilzunehmen. Er ist jedoch nicht in der entsprechenden Verfassung. Cushing notiert die Diagnose des Vierundzwanzigjährigen: «Psychoneurose nach Kriegserlebnissen.»

218.
    Sonntag, 3. November 1918
    Pál Kelemen hört in Arlon von der Abschaffung der ungarischen Zensur
     
    Es ist durchaus kein schlechtes Zeichen. Er sitzt mit den anderen beim Essen in der Offiziersmesse, als ein Intendanturoffizier mit panischem Blick hereinstürzt. Offenbar ist die offizielle Zensur in Budapest abgeschafft worden, die Tageszeitungen dort können jetzt schreiben, was sie wollen ! Mit der Post sind Exemplare der letzten Ausgaben gekommen, und auf den Titelseiten wird in dicken Lettern gefordert, die ungarischen Truppen sofort nach Hause zu holen: «Das Blutvergießen für fremde Mächte in fremden Ländern muss ein Ende haben!»
    Der Divisionskommandeur befiehlt sofort, die gesamte Post zu durchsuchen und alle Tageszeitungen zu konfiszieren. Die Nachrichten könnten eine verheerende Wirkung auf die ohnehin schon wankende Kampfmoral haben. Die Post wird durchgekämmt, aber man findet keine weiteren Tageszeitungen.
    Die Offiziere beobachten gespannt, ob es Anzeichen dafür gibt, dass die Botschaft zu den Mannschaften gelangt ist, aber am Nachmittag gibt es nur ein paar «kleinere Vorfälle». Im Laufe des Abends tauchen aber wieder einige Exemplare dieser Tageszeitungen auf, niemand weiß, wie oder woher, und gehen in den Quartieren von Hand zu Hand. «Bei Kerzenschein wurde mühsam vorgelesen, und gemeine Soldaten und Unteroffiziere diskutierten über nichts anderes als das, was in diesen Zeitungen stand.»

219.
    Montag, 4. November 1918
    Richard Stumpf erlebt fünf kritische Momente in Wilhelmshaven
     
    Herbstluft. Graues Wetter. Zur Feier des Tages zieht er seine Paradeuniform an. Dann bricht er mit den anderen auf, um zu demonstrieren. Die Haltung der Offiziere lässt erkennen, dass die Matrosen durchaus siegen könnten. Die Stimmung ist umgeschlagen. Die alte wilhelminische Selbstsicherheit hat sich in Luft aufgelöst; die Offiziere verhalten sich verwirrt, unbeholfen und mutlos. Nach ein paar halbherzigen Protesten lässt man die Mannschaft an Land: «Ich kann euch nicht hindern», sagt der Erste Offizier kleinlaut zu Stumpf.
    Vor einer Woche hat sich die gesamte Hochseeflotte zum Auslaufen bereit gemacht, zu einem letzten heroischen, sinnlosen Hurra, aber dann brach auf mehreren Schiffen die Meuterei aus.  35 Richard Stumpf glaubt zu wissen warum: «Jahrelang aufgehäuftes Unrecht hat sich zu gefährlichem Sprengstoff verwandelt und detoniert schon hier und dort mit heftiger Gewalt.» Befehlsverweigerung ist alltäglich geworden. Vor einer guten Woche ist Ludendorff, der starke Mann in der Obersten Heeresleitung, abgetreten, und es heißt, der Kaiser werde seinem Beispiel bald folgen und abdanken. Auf einem der Schiffe ist ein Leutnant erschlagen worden.
    Es geht eine mächtige Welle der Enttäuschung, Wut und Frustration durch Deutschland. Nicht nur weil man die Ungerechtigkeit, den Krieg, die hohen Preise und die Nahrungsknappheit leid ist. Vielmehr ist sie auch ein Resultat der eigenen Propaganda, die konsequent und sehr erfolgreich die schlechten Nachrichten unterdrückt, die Probleme verschwiegen und die Erwartungen hochgetrieben hat.  36 Die Erwartungen sind groß, all zu groß geworden.

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