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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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in den Kaukasus an die Front zu fahren.
    Sie haben die weißen Berge hinter sich gelassen und reiten an den kleinen Forts vorbei, die den äußeren Ring um die Festung bilden. Der Himmel ist grau, er schwebt über «der gottvergessenen Landschaft wie eine Bleiglocke». Hier und da sehen sie frisch ausgehobene Schützengräben – oder sind es Massengräber? Er sieht froststarre Leichen, er sieht Hunde, die daran zerren. (Später erfahren sie, dass eine Typhusepidemie wütet.) Die Gruppe reitet in Erzurum ein. Die Stadt bietet einen traurigen Anblick; die engen Straßen sind voller Schnee. Doch trotz der Kälte vibriert Erzurum vor Aktivität, im Basar, wo die Kaufleute in Pelzen und mit übereinandergeschlagenen Beinen beisammensitzen und «ihre ewigen Wasserpfeifen» rauchen, aber auch in der Garnison, wo Abteilungen von Soldaten, Gruppen von Trägern und mit Nachschub beladene Karawanen kommen und gehen. Dies ist das Hauptquartier der 3. Armee – oder was davon noch übrig ist.
    Am Nachmittag meldet sich de Nogales beim Festungskommandanten, einem Oberst.
    Der Krieg ist wegen der Kälte und des tiefen Schnees zum Stillstand gekommen. Niemand würde es außerdem so kurz nach dem verlustreichen Fiasko vom Jahreswechsel, als 150   000 Mann losmarschierten und 18   000 zurückkehrten, wagen, einen neuen Winterfeldzug zu beginnen. Selbst die Russen, die immerhin einen großen und unerwarteten Sieg errungen haben, sitzen in ihren nahezu uneinnehmbaren Gebirgsstellungen gegenüber von Köprüköy und warten ab.
    Dann und wann hört man das entfernte Donnern der russischen Artillerie. Das Dröhnen hallt zwischen den umliegenden Berghängen, und das Knallen löst manchmal oben auf dem Ararat Lawinen aus: «Enorme Eismassen glitten herunter und fielen von Kamm zu Kamm und von Felsen zu Felsen, bis sie mit einem Krachen an den stillen Ufern des Araxes zerschellten.»

34.
    Donnerstag, 18. März 1915
    Pál Kelemen sieht sich in einem leeren Klassenzimmer in den Karpaten um
     
    Die Verwundung, die er in jener Nacht auf dem Pass erlitten hatte, war nicht schwerwiegend. Nach einem Aufenthalt im Lazarett in Budapest und der Rekonvaleszenz als Verantwortlicher für die Remonten  14 in der ungarischen Grenzstadt Margita – wo er ein Verhältnis mit einer der behüteten Bürgertöchter begann, einer auffallend groß gewachsenen und schlanken jungen Frau – ist er nun wieder an der Front.
    Das Vor- und Zurückmarschieren auf den verschiedenen Gebirgspässen der Karpaten geht ohne erkennbares Resultat weiter. In den letzten Monaten haben beide Seiten zwar Terrain gewonnen, zugleich aber hohe Verluste verzeichnet, vor allem durch Kälte, Krankheiten und fehlenden Nachschub.  15 Kelemen hat den Gestank erlebt, wenn alte Leichen in der Frühlingssonne auftauen und neue dazugelegt werden. Kaum jemand redet noch von einer schnellen Entscheidung.
    Kelemens Einheit verrichtet ihren Dienst hinter der Front, meist als eine Art Sonderpolizei, zum Schutz der langen Nachschubkolonnen, denen man auf den matschigen Wegen ständig begegnet. Es ist ein einfacher und gefahrloser Dienst. Kelemen und seine Husaren quartieren sich häufig in den leeren Schulhäusern der ungarischen Dörfer ein. So auch heute. Pál Kelemen schreibt in sein Tagebuch:
     
In zerstörten Klassenzimmern, die sich durch hereingeschlepptes Stroh in schmutzige Ställe verwandelt hatten, stehen die Schulbänke verstreut wie verängstigte Viehherden, auseinander und wieder zusammengetrieben, und die Tintenfässer sind wie Knöpfe, die von einem Kleidungsstück abgerissen wurden und jetzt wie Abfall in den Ecken und Fensternischen liegen.
An den Wänden sind Text und Noten der Nationalhymne zu sehen, und eine Karte von Europa. Die schwarze Tafel liegt umgedreht auf dem Katheder. Ins Bücherregal hat man Schreibhefte, Lesebücher, Stifte und Kreide geworfen. Alles nur Bagatellen, aber doch reizvoll, jedenfalls für mich, der stundenlang nur Abscheulichkeiten gesehen hat. Wenn ich in diesen Dorfschulbüchern die einfachen Worte lese – Erde, Wasser, Luft, Ungarn, Adjektiv, Substantiv, Gott –, finde ich in gewisser Weise das Gleichgewicht wieder, ohne das ich so lange umhergeworfen wurde wie ein Schmugglerschiff, ohne Ruder, auf unbekannten Meeren.

35.
    Samstag, 3. April 1915
    Harvey Cushing stellt in einem Pariser Militärkrankenhaus eine Liste interessanter Fälle auf
     
    Grau, schwarz und rot. Das waren die Farben, die er die ganze Zeit vor Augen hatte, als sie vor

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