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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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können, trotz tagelangen Trommelfeuers. Zwei Waffen beherrschen jetzt die Schlachtfelder: die Artillerie und die Maschinengewehre. Die gewöhnliche Infanterie ist immer mehr zu ihren Dienern geworden – und ihren Opfern. Ihre Aufgabe ist es, Terrain zu besetzen, das der Granatenregen aufgewühlt hat, und die Maschinengewehre zu schützen, wenn diese ihre Arbeit tun. So auch hier. Die Maschinengewehre knattern. Die Reihen der Männer lichten sich, werden langsamer, kommen zum Halt, kehren um.
    Ein ums andere Mal wiederholt sich die Prozedur dort unten im Tal. Eine Kompanie klettert aus ihren Schützengräben, arbeitet sich ein Stück den Berghang hinauf, bleibt im peitschenden Maschinengewehrfeuer liegen und tritt schließlich dezimiert den Rückzug an; nach einer gewissen Zeit wird ein neuer Versuch gestartet, auch dieser vergebens, denn jetzt sind es weniger Männer als beim vorigen Mal, worauf man unter noch mehr Verlusten zurückkehrt, um aufs Neue losgejagt zu werden – und so weiter.
    D’Aquila ist entsetzt, nicht nur weil einige der dunklen, unbeweglichen Flecken an dem fernen Berghang seine Kameraden sind, sondern auch über die Unverfrorenheit der hohen Offiziere und ihren offenbaren Mangel an taktischer Finesse. Zu diesem Zeitpunkt haben alle kriegführenden Parteien erkannt, dass die Feuerkraft der Armeen so gewaltig geworden ist, dass Angreifer unfehlbar hohe Verluste erleiden. Dennoch halten viele Generäle an der Vorkriegsillusion fest, dass fehlende Feuerkraft durch reinen Willen kompensiert werden kann, den Willen, allen Verlusten zum Trotz im Kugelhagel weiterzustürmen. Aber wessen Willen? Gegen Abend hört D’Aquila ein Gespräch mit an, das übers Feldtelefon vermittelt wird. Der Hauptmann einer Gebirgsjägerkompanie bittet darum, seinen Männern weitere Angriffe zu ersparen. Fünfzehn Mal sind seine Elitesoldaten den Berghang hinaufgestürmt und fünfzehn Mal sind sie zurückgeschlagen worden. Von zweihundertfünfzig Mann sind noch knapp fünfundzwanzig übrig. Der Kommandeur sagt nein, ermahnt den Mann am Hörer, den Hauptmann an den Eid zu erinnern, den er der Krone und Italien geleistet hat.
    Die Gebirgsjägerkompanie greift ein letztes Mal an. Auch dieser Angriff scheitert. Der Hauptmann gehört nicht zu den Überlebenden. Es wird gemunkelt, dass er sich umgebracht hat.
***
    Am 30. Oktober kann D’Aquila auf seiner Maschine einen Befehl ins Reine schreiben, der lautet, dass die Angriffe bis auf weiteres eingestellt werden. Die Schlacht, die im Nachhinein als die dritte Isonzoschlacht bezeichnet wurde, geht ihrem Ende entgegen. Nicht ein einziges Angriffsziel ist erreicht worden.  59
    Einige Tage später wird in der italienischen Armee Allerheiligen gefeiert. D’Aquila erfährt kurz darauf, dass sein guter Freund Frank zu denjenigen zählt, die bei den gescheiterten Angriffen gefallen sind.

61.
    Sonntag, 31. Oktober 1915
    Pál Kelemen beobachtet, wie ein serbischer Guerillakämpfer erhängt wird
     
    Die Invasion Serbiens durch die Mittelmächte verläuft planmäßig, was zumindest nach der öffentlichen Meinung zu Hause auch höchste Zeit wird. Im vorigen Jahr hat die österreichisch-ungarische Armee dreimal zum Angriff auf das Nachbarland angesetzt, und dreimal wurde sie zurückgeschlagen. Diesmal ist es anders. Am 6. Oktober hatten die vereinigten deutschen und österreichisch-ungarischen Armeen den Angriff begonnen, am 8. Oktober wurde Belgrad eingenommen (übrigens zum dritten Mal seit August des vorigen Jahres), am 11. Oktober fiel auch die bulgarische Armee in das Land ein. Jetzt befindet sich die geschlagene serbische Armee auf dem Rückzug vor der drohenden Einkreisung – und im Übrigen nicht nur das Heer; Massen von Zivilisten folgen ihm auf der riskanten Flucht nach Süden.  60
    Pál Kelemen und seine Husaren gehören zu den Verfolgern. Es geht schnell voran in der Oktobernässe. Manchmal vergehen mehrere Tage und Nächte, ohne dass er aus dem Sattel kommt. Sie sind an brennenden, geplünderten Häusern vorbeigeritten, Straßen entlang, auf denen es von Flüchtlingen wimmelte, meist Frauen jeden Alters und Kindern. Ständig sind sie dem fernen Geräusch von Schüssen gefolgt.
    An diesem Sonntag steht die Schwadron neben der Ruine eines serbischen Gasthauses. Um das Gebäude herum haben sich Hunderte von Verwundeten versammelt, die auf der lehmigen Erde liegen. Es gibt Kämpfe mit der Nachhut des sich zurückziehenden Feindes, aber nicht hier, sondern zwei Bergrücken

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