Schokoherz
kleines Stück. In meinen Augen war das nicht normal. Wer konnte schon ein Stück Schokolade essen und es dabei belassen? Wenn ich ein Stückchen aß und wusste, dass in meiner unmittelbaren Umgebung, unwegsames Gelände eingeschlossen, auchnur ein Krümel übrig war, musste ich diesen Krümel haben. Wenn es sich dabei um den Rest der Tafel handelte, umso besser.
Doch würde Ein-Stück-Tom einsehen, weshalb seine Frau, die Journalistin, auf einmal eine schlecht bezahlte Bedienung in einem Schokoladengeschäft sein wollte? Nüchtern betrachtet war ich nicht die ideale Wahl für diesen Job. Wie Clara schon ausgeführt hatte, wusste ich nichts über den Einzelhandel. Mich als überqualifiziert zu bezeichnen wäre wohl leicht untertrieben im Hinblick auf meine jahrelange Ausbildung als Journalistin und meine Berufserfahrung bei einer renommierten Zeitung. Das war ein ziemlich krasser Karrierewechsel. Doch genau das war einer der Gründe, weshalb mich dieser Plan so reizte. Wenn ich ganz ehrlich mit mir bin – und ich schätze, das sollte ich sein, wenn dieses Tagebuch hier wirklich als Therapie funktionieren soll – dann war Chocolat Chaud de Clara eine Ausflucht für mich, ähnlich wie die überstürzte Abreise aus London. Ich rannte und rannte und rannte, nur fort vom Tatort. Zumindest zu diesem Zeitpunkt.
Doch an jenem Tag im März konnte ich all das nicht so klar sehen wie heute. Ich wusste nur, dass Tom am Abend ein ziemlicher Schock bevorstand.
13
Irgendjemand hat mal gesagt – ich glaube, es war Napoleon – dass Angriff die beste Verteidigung ist. Nun, wenn es bei diesem kleinen Korsen funktioniert hatte, dann war es definitiv gut genug fair eine etwas üppigere Engländerin. Also war ich bei Toms Heimkehr schon auf hundertachtzig. Zum Glück war er ausnahmsweise früh genug dran, dass wir noch zusammen essen konnten. Es widerstrebte mir zwar, ein gutes Mahl mit Streit zu verderben, aber es ging eben nicht anders.
Dass er mir nicht von seiner Mittagessensverabredung mit Sallys Gatten Giles erzählt hatte, diente mir als feindlicher Eröffnungsschlag. Klar, ich hätte das schon tags zuvor anbringen können, aber da brauchte ich schließlich noch keinen Vorwand, richtig?
Ich fing ganz behutsam an. »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du gestern mit Giles Mittag gegessen hast.« Ich stellte eine große Schüssel mit Kartoffelgratin auf den Tisch, das es zur gebratenen Ente gab.
»Ich wusste nicht, dass du ihn kennst«, erwiderte Tom ganz vernünftig und schaufelte sich vorfreudig Gratin auf den Teller. Ich konnte nicht umhin zu bemerken, wie charmant sein Lächeln war. Verdammt, verdammt, verdammt. Dieser Charme war schon immer seine gar nichtso geheime Waffe gewesen. Ich merkte bereits, wie ich weich wurde. Schließlich hatte ich ihn seit dem Frühstück nicht mehr gesehen und schon fast wieder vergessen, wie attraktiv er war. Im Geiste verpasste ich mir eine kräftige Ohrfeige. Ich musste stark bleiben, den bevorstehenden Streit gewinnen und meine Angriffstaktik beibehalten. Ich würde richtig aufdrehen müssen, um mich davon abzulenken, wie gut er in seinem Anzug aussah ...
»Und woher solltest du das auch wissen, wenn du ihn nie erwähnst? Außerdem kenne ich ihn überhaupt nicht«, motzte ich.
»Wenn du ihn nicht kennst und ich nicht wusste, dass du ihn nicht kennst, warum reden wir dann über ihn?«, entgegnete Tom mit nervtötender Vernunft.
Ich holte tief Luft. Es war nicht leicht, ihn zu überlisten. »Die Sache ist einfach die, dass du nie etwas mit mir besprichst. Ich habe keine Ahnung, was du treibst, mit wem du arbeitest, wenn du triffst, ja, ich weiß nicht einmal, wo dein Büro ist. Es kommt mir vor, als sei da eine Mauer zwischen deiner Welt und meiner, und ich habe keinen Zutritt«, sagte ich. Nun redete ich mich richtig in Rage. Mit wachsender Verärgerung begriff ich, dass jedes meiner Worte stimmte.
»Seit ich hier bin, bin ich in diese Hausfrauenschublade gesperrt, als dürfte ich möglichst gar nichts über deinen Job wissen und, noch viel schlimmer, als würde ich sowieso nichts verstehen«, donnerte ich.
Tom ließ sein Besteck fallen. »Es war deine Idee, hierher zu kommen, weißt du noch? Nachdem du unsere Welt zum Einsturz gebracht hast. Also verzeih mir bitte, wenn ich hart arbeite, um uns dieses riesige Haus mit einem einzigen Gehalt zu finanzieren. Du hast mich dazu mal, gezwungen.«Tom schien sich auf ein mal nicht mehr für seine Ente zu interessieren.
»Genau
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