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Schokoherz

Schokoherz

Titel: Schokoherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Castle
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plötzlich feststellen, dass das Gesamtbild nicht Schneewittchen zeigte, die mit den Zwergen durch einen lichtdurchfluteten Hain tollt, sondern eher den Marquis de Sade am schmerzhafteren Ende seines Repertoires. So wohl Lou als auch Tom besaßen Klasse. Für keinen von beiden wäre dies vollkommen untypisch.Vor einer Stunde hätte ich dieses Szenario noch für unmöglich gehalten. Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher.
    Jetzt, wo ich darüber nachdachte, hatte Tom neulich tatsächlich sehr glücklich gelächelt, als er mir Lou am Telefon weiterreichte. Wir waren ja gerade erst zur Tür hereingekommen – wer sagte denn, dass sie wirklich erst einige Sekunden vorher angerufen hatte? Vielleicht hatten die beiden ja schon Stunden telefoniert. Außerdem war Lou vorzeitig aus dem Restaurant verschwunden. Wo war sie hingegangen? Und dann war Tom am Abend meines Treffens mit Lou und Pete ungewöhnlich gutgelaunt nach Hause gekommen und hatte nicht einmal nachgefragt, wie das Mittagessen gelaufen war. Weil er es womöglich schon wusste. Weil Lou ihm alles haarklein berichtet hatte.
    Das Problem war, dass wir uns auseinandergelebt hatten.. Er war immer unterwegs, und ich war immer bei den Kindern und im Café. Was machte er den ganzen Tag lang? Keine Ahnung. Er erzählte mir nie etwas davon. Er verreiste oft. Wo war er dann? Ich fragte manchmal vage nach, und er gab mir eine ebenso vage Antwort. Log er? Diese Möglichkeit hatte ich zuvor noch nie in Erwägung gezogen. Da ich inzwischen keine Zeitung mehr kaufte, konnte ich es auch nicht über die Verfasserzeilen wie zum Beispiel »Tom Richardson in Belgrad« oder »Tom Richardson aus Köln« überprüfen. Vielleicht trieb er sich ja die ganze Zeit mit Louise in London herum, wenn er nicht bei uns in Brüssel weilte.
    Hatte ich nicht schon in den ersten Wochen nach unserem Umzug einen Eurostar-Fahrplan in seinem Jackett gefunden? Damals dachte ich noch, er wolle michmit einem Trip nach Hause überraschen. Diesbezüglich war nie etwas passiert, aber vielleicht beschäftigte er sich ohnehin mit wesentlich überraschenderen Dingen.
    Seien wir ehrlich: Ich hatte ja noch nicht mal von Vanessas Existenz gewusst, die offenbar so fest zu seinem Büroinventar gehörte wie der Laptop. Sie war aus dem Nichts aufgetaucht, ohne dass er sie je zuvor auch nur im Nebensatz erwähnt hätte. Wäre sie nicht unerwartet zu unserer Dinnerparty erschienen, wüsste ich vermutlich bis heute nicht, dass es sie gab.
    Die Wahrheit ist vermutlich, dass ich mich zu sehr auf mein Leben konzentriert und seines darüber aus den Augen verloren hatte. Und wer behauptet, das sei nicht der richtige Weg? Ich fand mein Leben wichtiger und spannender als seines. Europapolitik hatte mich noch nie vom Hocker gerissen, und meistens stieg ich auch nicht so ganz durch. Meine Prioritäten waren folgende: mich mit meinen Kindern in eine neue Gemeinschaft einzufügen und damit unser Glück und unsere Zukunft zu sichern. Tom hatte seine Arbeit – damit war er ausgelastet. Natürlich interessierte mich, wie er so vorankam, doch in den vergangenen paar Monaten zugegebenermaßen weniger, als es angemessen gewesen wäre. Wir waren vom Kurs abgedriftet. Ich hätte es merken müssen. Ich hätte reagieren sollen.
    Würde ich mit meiner Ehe dafür bezahlen?
    Oder war das hier lediglich Petes abgefahrenste Verschwörungstheorie überhaupt? Dermaßen verworren und tückisch, dass Prinzessin Dianas mysteriöses Ende in Paris im Vergleich dazu ein glasklarer Fall war? Handelte es sich um einen Haufen Quatsch, der einem überspannten Hirn entsprungen war? Hatten die Jahre unerwiderterLiebe zu geistiger Verwirrung geführt? Nicht Liebe zu Lou, wie ich immer dachte, sondern zu mir. Nach einem langen Arbeitstag und der Versorgung zweier Kleinkinder konnte ein Normalsterblicher das alles wohl kaum auf der Stelle verarbeiten. Mein Gehirn fühlte sich so gebraten an wie vorhin die Spiegeleier der Kinder.
    »Bella? Bella, bist du noch da?« Pete klang besorgt. Mein Gott, beinahe hätte ich vergessen, dass er noch in der Leitung war.
    »Ja«, erwiderte ich dumpf. Ich war genau da, wo seine Worte mich hinbefördert hatten: in der Hölle.
    »Dann geht's dir also gut. Hör zu, ich muss los. Ich bin an einer Sache dran. Sobald sich das klärt, werde ich ...« Es überraschte mich nicht, dass in diesem Moment die Verbindung abbrach. Pete mochte zwar gerade meine ganze Welt zum Einsturz gebracht haben, aber manche Dinge änderten sich nie,

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