Schokoherz
wie zum Beispiel seine Unfähigkeit, ein Gespräch wie ein normaler Mensch zu beenden.
Wie auf Autopilot kümmerte ich mich um Küche und Kinder, wischte Karamellmasse von sämtlichen Flächen, von glänzenden Fliesen bis hin zu Wangen mit Grübchen, und dachte nebenbei über den übelsten Aspekt dieser Geschichte nach: Louise und was sie so trieb (sollte es da tatsächlich etwas geben, denn noch glaubte ich an ihre Unschuld). Wir redeten hier schließlich von meiner Freundin, dem Mädchen, neben dem ich jahrelang gesessen hatte und deren Geschichten über ihre Partnersuche mich zu Tränen amüsiert hatten. Die Frau, deren Klamottengeschmack einem Autounfall in Zeitlupeentsprach und deren einzige wirkliche Kompetenz darin bestand, nette Artikel für die News zu produzieren. Jetzt, wo ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass ich mich seit Jahren über ihre vermasselten Beziehungen schlapp gelacht und sie gezwungen hatte, die dümmsten Artikel zu übernehmen. Möglicherweise hatte sie das in den Wahnsinn getrieben. Sie hatte jedoch nie ein Sterbenswörtchen gesagt. Dieser vornehme Tonfall hatte sich nie gegen mich gewendet. Lag das daran, dass sie mir heimlich das Wasser abgrub, die Grundlagen meines Lebens unterminierte?
Ein Teil von mir verspürte Traurigkeit, ja sogar Schuldgefühle. Doch der weitaus größere und gefährlichere Teil war wütend. Stinkwütend. So wütend, dass Maddie, die einen kurzen Blick auf meine Miene erhaschte, prompt in Tränen ausbrach und sich hinterm Sofa verkroch. Das brachte mich wieder zur Besinnung. Jetzt war keine Zeit für mörderische Gedanken. Ich würde mich eine Weile aufspalten müssen: in eine weiche, kuschelige Mummy, wie die Kinder sie kannten, und in ein rachsüchtiges Biest, das seine Erzfeindin Lou zerstören wollte. Also nahm ich schnell Madeleine auf den Arm, drückte sie an meine Schulter und murmelte ihr beruhigende Worte ins Ohr Gleichzeitig wählte ich Lous Handynummer. Es klingelte. Zwölf, dreizehn, vierzehn Mal, aber niemand nahm ab. Ich probierte ihren Anschluss im Büro. Fehlanzeige. Frustriert knirschte ich mit den Zähnen. Maddie hob den Kopf von meiner Schulter, wo sie still vor sich hin gesabbert hatte, und sah mich aus großen Augen ängstlich an. Ich küsste sie auf die weiche Stelle ihrer Nase, die dafür wie gemacht zu sein schien, und sie kuschelte sich wieder beruhigt an mich,um ein bisschen weiterzusabbern. Also versuchte ich, etwas leiser mit den Zähnen zu knirschen, während ich es bei Lou zu Hause probierte. Plötzlich ertönte ihre unverwechselbare Stimme – natürlich der Anrufbeantworter. Ich hielt inne. Was zum Teufel sollte ich sagen? Mir fiel nichts ein, was nicht irgendwie unter meiner Würde gewesen wäre. Mit den Kindern im Zimmer konnte ich keine Schimpftirade loslassen. Ruhig zu bleiben schien mir genauso unmöglich. Außerdem wollte ich nie wieder mit ihr reden. Also begnügte ich mich damit, nach einer vielsagenden Pause abrupt aufzulegen. Na bitte. Das sollte sie aber wirklich in Angst und Schrecken versetzen.
Nun blieb noch Tom. Was sollte ich in dieser Hinsicht unternehmen? So mutig ich sonst auch war, jetzt schaffte ich es nicht, einfach zum Telefon zu greifen. Wen konnte ich um Rat fragen? Früher wäre die Antwort einfach gewesen: Lou. Ich löschte den Gedanken schnell, wie eine heruntergebrannte Zigarette. Gar nicht darüber nachdenken. Meine Mutter? Nein, die würde völlig überreagieren und den ersten Zug hierher nehmen. Sie sah sich gerne als hilfreiche Stütze, würde aber in Wirklichkeit vor lauter Unglück zerfließen wie Vanillesauce, so dass ich all meine Kraft brauchen würde, um sie heil durch den Schlamassel zu manövrieren. Nein, meine Eltern durften von alledem nichts erfahren, koste es, was es wolle. Was genau »all das« war, wusste ich selber nicht genau. Penny? Auf die war immer Verlass, und in einer Krise war sie große Klasse ... aber sie kannte Tom länger als ich. Zumindest ein Teil von ihr würde bestimmt für ihn Partei ergreifen, und das ertrug ich gerade nicht. Clara? Die hätte sicher nur bissige Kommentareauf Lager. Das Problem war, sie würde auf Französisch schimpfen. Für Konversationsstunden hatte ich in meinem akuten Schwächezustand keine Kapazitäten. Trudie? Ja, die würde ich fragen. Und zum Glück wohnte sie nur ein paar Häuser weiter.
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Ich muss sagen, Trudie war in Krisensituationen große Klasse. Vielleicht lag es daran, dass sie Seifenopern anschaute, wenn sie nicht
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