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Schokoherz

Schokoherz

Titel: Schokoherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Castle
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laut knurren würde. Dann hielten wir mit einem kleinen Ruck an, und wieder ertönte das Zischen. Ich ließ Jane Champion mit einer kleinen Geste den Vortritt – immerhin kannte sie den Weg und ich nicht. Außerdem hatte ich dadurch noch einen Moment Zeit, mich auf sie einzustellen. Das war nämlich äußerst wichtig, um in meinem Text später das Live-Erlebnis spürbar zu machen. Ich wollte meinen Lesern zeigen, dass ich mir wirklich die Mühe gemacht hatte, diese Frau zu treffen. Außerdem war es eine Gelegenheit, sie ungeniert von oben bis unten zu mustern. Als Erstes nahm ich mir ihre Kleidung vor. Ein makelloser dunkelblauer Hosenanzug mit hauchdünnen pflaumenfarbenen Streifen, die seine Strenge etwas auflockerten. Vielleicht Max Mara? Oder sogar Armani? Jedenfalls kaschierte er großartig, dass sie um die Taille etwas zugelegt hatte. Immerhin war sie jetzt Ende vierzig, und so ein Politikerleben war sicher nicht besonders gesund. Aber insgesamt hatte sie sich bemerkenswert gut gehalten. Ihre Bluse war aus wundervoll schimmernder Seide, ganz schlicht. Ihre Schuhe elegant – aber ohne dass sie sich wie Denise damit die Füße ruinierte. Schöne Frisur. Offensichtlich war sie seit der Haarspray-Katastrophe ihrerHochzeit zur Besinnung gekommen. Der Gesamteindruck war auf so schlichte Art elegant, dass er um Haaresbreite langweilig gewesen wäre.
    Moment mal. Irgendetwas war ungewöhnlich an ihr. Eigentlich mehr als ungewöhnlich. Es war sogar ausgesprochen seltsam. Sie hatte keine Handtasche. Wie merkwürdig. Wo gab es denn so was? Eine Frau ohne Handtasche! Ich fragte mich, was um Himmels willen sie damit anstellte? Stopfte sie die Tasche jeden Morgen in die unterste Schreibtischschublade? Wie konnte sie nur so nackt unterwegs sein? Ich würde ohne meine nicht länger als fünf Minuten überleben, nicht zuletzt, weil sie meine leckeren Vorräte barg. Mussten ihre Assistenten als lebende Handtaschen herhalten und für sie Labello und Tempos tragen? Ich blinzelte verstohlen zu dem Typen rechts hinüber. Es war sicher unter seiner Würde, Jane Champions Hustenbonbons einzustecken, für den Fall, dass sie während der Fragestunde im House of Commons ein Kitzeln im Hals verspürte. Und die Frau zu Champions Linken sah noch steifer aus. Konnte ich es wagen, Jane Champion zu fragen, wo ihre Handtasche abgeblieben war? Oder war das zu banal? Meine Leser würde es interessieren, da hatte ich keinen Zweifel. Auf jeden Fall war ich selbst neugierig. Und mein ultimativer Schnelltest fiel ebenfalls eindeutig aus: Auch meine Mutter würde dieses Detail auf jeden Fall pikant finden. Also musste ich fragen. Allerdings bevor wir auf die Hochzeit zu sprechen kamen – aus naheliegenden Gründen. Denn sobald das einmal im Raum stand, würde ich wohl einen raschen Rückzug antreten müssen.
    O Gott, diese Denkerei machte mich wirklich hung rig.Inzwischen hätte ich für ein Stück Schokolade mein letztes Hemd gegeben.
    Schweigend schritten wir den belebten Flur hinunter und bahnten uns unseren Weg durch wuselnde Staatsdiener, bis Jane Champion mit großer Geste eine Tür öffnete. Der Raum war im Einheitslook der Regierung ausgestattet: ein langer Tisch in Teakoptik, Stühle, große Fenster, die sicherlich einen atemberaubenden Blick auf Londons Zentrum geboten hätten, aber mit blickdichten Vorhängen verhängt waren, ein plüschiger Teppich in einem recht schönen Königsblau und Wände in hellem Grau. Obwohl das Ganze einigermaßen geschmackvoll war, wusste ich, dass es nicht lange dauern würde, bis der Teppich Flecken hätte und die Tischplatte voller klebriger, ringförmiger Abdrücke von unzähligen Kaffeetassen wäre. Büros in Regierungsgebäuden hatten immer etwas Kaltes, Abweisendes. Hier stachen einem allerdings ausgesprochen auffällige, riesige Gemälde ins Auge.
    »Tolle Bilder«, sagte ich überrascht und trat näher, um sie mir genauer anzusehen. Ein Bild ähnelte einem Chagall: Ein Mann schwebte über einem dunklen, vernagelten Fenster. Das andere war eine Collage, die vor Energie und Zorn zu explodieren schien. »Beeindruckend«, kommentierte ich. Meine neue Freundin mit der Zöpfchenfrisur nickte begeistert, was von einem ganz reizenden Klingeln begleitet wurde.
    »Die stammen aus einer meiner Initiativen«, erläuterte Jane Champion stolz und kam zu mir herüber. »Wer, glauben Sie, sind die Künstler?«
    »Schwer zu sagen. Jemand aus der BritArt-Szene? Vielleicht Chapman? Hirst?«, kramte ich ein paar Namen

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