Schokoherz
schweigen davon, dass ich mir von ihnen den Kopf verdrehen ließ. Ich war doch glücklich verheiratet! Oder?
Diese schwerwiegenden Gedanken plus das Gewicht meines geliebten Nachwuchsdoppels ließ uns nur sehr langsam vorankommen. Erst als Tom auf der Straße fast an uns vorbeigefegt war – noch dazu ziemlich unfreundlich, wie ich feststellen musste – erkannte er seine Frau und Kinder, ungefähr im gleichen Moment, als ich ihn wahrnahm.
»Tom! Ich bringe gerade das Frühstück. Ich hab dir ein Croissant besorgt ...« Schuldbewusste Röte überzog meine Wangen. Doch ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Tom war so mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, dass es ihm nicht mal aufgefallen wäre, wenn er mich auf offener Straße in flagranti mit dem hinreißenden Fremden erwischt hätte.
»Tut mir leid, Bella, ich muss an dieser Story dranbleiben. Du weißt ja, wie das ist ...« Er ließ den Satz in der Luft hängen. Ach ja, diese Geschichte, von der er erzählt hatte. Der britische EU-Kommissar ... der irgendwas mit irgendjemandem getrieben hatte. Ganz ehrlich, es wareine Wohltat, diese Art von Informationen einfach wieder vergessen zu dürfen.
Schlaff hielt ich ihm die Tüte hin, die ein Croissant zu viel enthielt. »Möchtest du es mitnehmen?«, bot ich ihm an. Ein wenig halbherzig, zugegebenermaßen.
»Keine Zeit, Wichtigeres zu tun ... bis später. Das heißt, nein. Ich muss nach, äh, Den Haag – große Kriegsverbrechengeschichte. Bin spät zurück – falls ich's überhaupt nach Hause schaffe. Kann sein, dass ich ein paar Tage bleiben muss.«
»Den Haag? Wo ist das denn?« Meine grauen Zellen kamen mühsam wieder in Schwung, während Madeleine sich im Buggy verrenkte. Ein kleines Mädchen ertrug nur eine begrenzte Menge an Erwachsenengeplänkel, vor allem wenn es sich um ihre Eltern handelte.
»Du meine Güte, Bella, das liegt in Holland.«
»Aber was ist mit Kleidern? Und wo wirst du über nachten?«
»Ich habe ein paar Hemden.« Er schwenkte ungeduldig eine kleine Reisetasche hin und her.» Und ein Kollege hat sich ums Hotel gekümmert. Ich melde mich bald.« Und weg war er, ohne mir auch nur einen Kuss zu geben. Den Kindern schien es nicht viel auszumachen – manchmal hatte ich das Gefühl, sie kannten ihn kaum mehr, so viel arbeitete er in letzter Zeit oder war unterwegs. Ich hingegen war bitter enttäuscht. Die Tage konnten manchmal ganz schön lang werden ohne ihn. Von den Nächten ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass ich Männer in Bäckereien anschmachtete.
Einwenig angesäuert manövrierte ich den Buggy ins Haus. Genau in diesem Moment klingelte das Telefon. Super! Ablenkung von düsteren Gedanken. Schnell rannte ich hin.
»Hallohoo!«, schnurrte am anderen Ende eine vertraute, verführerische Stimme.
»Lou! Ich hab dir doch gesagt, du sollst deinen sexy Tonfall nicht an mich verschwenden. Heb ihn dir lieber für deinen Loverboy auf, wer auch immer das gerade ist. Aber wie schön, von dir zu hören! Wie geht's denn so?«, trällerte ich und befreite nebenher die Kinder aus ihren Gurten.
»Alles gut so weit, Bella ... wie läuft's bei dir?«
»Ziemlich prima ... fühlt sich schon wie zu Hause an. Fantastische Bäckereien ...« Ich ging nicht weiter ins Detail, da Lou sich bekanntlich für süße Stückchen nicht begeistern konnte und ich ihr nicht von diesem hinreißenden neuen Mann erzählen wollte – zumindest noch nicht. Wie ich Lou kannte, würde sie anreisen, um ihn zu bezirzen, noch bevor ich mit meiner Beschreibung von ihm fertig war. Also wechselte ich das Thema. »Du musst uns wirklich besuchen kommen. Die ersten zwei Runden Besuch haben wir schon hinter uns, wir sind jetzt richtig in Übung. Meine Eltern standen natürlich vor der Tür, kaum dass wir angekommen waren, und Mum war wieder super mit den Kindern. Und dann war kürzlich Penny da, du weißt schon, Toms Freundin von früher, zusammen mit ihrem Mann und den Jungs.«
»Euch besuchen kommen? Das könnte ich schon, denke ich ... aber was ist in Brüssel so los?«, erkundigte Lou sich.
Ichdachte eine Sekunde lang nach. Lou fehlte mir ganz schrecklich, und wenn ich das Land als lasterhaften Sumpf darstellen musste, um sie herzulocken, dann war es eben so. »Ich habe gehört, diese Diplomatenpartys sind bessere Swingerclubs«, flüsterte ich und überkreuzte dabei die Finger. »Und das Rotlichtviertel ist unglaublich. Es liegt direkt neben dem Bahnhof. Tom hat mir neulich abends ausführlich davon
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