Schokolade für dich (German Edition)
auch eine Warnung an das Schicksal war, ihr nicht noch weiter ins Gehege zu kommen.
Ihre Älteste war wirklich effizient, aber anscheinend hatte sich alles gegen sie verschworen.
Sie verabschiedeten sich mit einem Ich-hab-dich-lieb. Als sie weg war, saß Muriel da und starrte aus dem Wohnzimmerfenster auf die Berge, die von grauen Wolken umhüllt waren, während sie über das Desaster nachsann, das ihr Leben momentan darstellte. Die meisten Eltern – wenn sie denn lange genug lebten – wurden irgendwann zu einer Bürde für ihre Kinder. Aber sie war definitiv zu jung, um so eine große Bürde zu sein.
Also, fragte sie sich selbst, was willst du dagegen unternehmen?
Sie würde etwas gegen ihre Unwissenheit tun. Entschlossen rief sie in der Buchhandlung Mountain Escape Books an.
„Ist dieser Erdrutsch nicht furchtbar?“, begrüßte Pat sie. „Unserer Festivalplanung ist es jedenfalls nicht gerade zuträglich.“
Unserer Firma auch nicht, dachte Muriel.
„Aber du rufst sicher nicht an, um darüber zu reden.“
Ganz bestimmt nicht. Sobald sie anfingen, sich über den Erdrutsch und das Festival zu unterhalten, führte das zwangsläufig zu anderen Themen, die definitiv verboten waren. „Ich brauche ein gutes Buch über Geld und Finanzen. Oder auch zwei. Habt ihr irgendeinen Ratgeber darüber, den auch Dummköpfe verstehen?“
„Meinst du private Finanzplanung oder eher geschäftliche?“
„Private.“ Nach dem Fauxpas mit Del konnte sie froh sein, wenn ihre Tochter ihr erlaubte, überhaupt je wieder einen Fuß in den Laden zu setzen.
„Ich schaue mal, was ich finde“, versprach Pat. „Soll ich sie morgen mit zum Essen bringen?“
„Nein, ich komme heute Nachmittag vorbei“, erwiderte Muriel. So wie ihr Leben zurzeit verlief, durfte sie keine Zeit mehr verlieren.
Gerade hatte Samantha eine weitere Pensionsbesitzerin am Telefon beruhigt, als Elena ihr über die Gegensprechanlage mitteilte: „Du hast Besuch. Eine Amber Wilkes.“
Samantha hatte eine Schachtel Pralinen für Amber bereitgestellt, war sich aber nicht sicher gewesen, ob Amber das Angebot annehmen würde. Dazu musste sie ja im Laden vorbeikommen, und es bestand die Gefahr, Samantha eventuell noch einmal zu begegnen. Aber, dachte sie jetzt, man sollte die Kraft der Schokolade niemals unterschätzen.
„Schick sie rein.“ Hoffentlich kam Amber nur vorbei, um sich zu bedanken, und nicht, um sie in irgendein Teenagerdrama zu verwickeln. Für Samanthas Geschmack war ihr Leben bereits aufregend genug.
Einen Moment später öffnete sich die Tür zu ihrem Büro, und Amber kam herein, in der Hand eine Schachtel mit Sweet-Dreams-Pralinen. Verstohlen blickte sie sich noch einmal über die Schulter, also fürchtete sie, dass … ja, was? Dass ihre Mutter auftauchte? Die Schokoladenpolizei erschien, um zu fragen, ob sie die Pralinen auch bezahlt hatte?
„Ich, äh, wollte mich bedanken“, sagte Amber.
Das war nicht alles, was sie wollte. So unsicher und schüchtern, wie sie auf einmal wirkte, sah Amber aus wie ein Teenager, der etwas auf dem Herzen hatte.
Aber Samantha fragte nicht, was. Stattdessen sagte sie einfach: „Gern geschehen.“
Amber kaute auf ihrer Unterlippe. Ja, jetzt kam’s. „Äh, hast du dich entschieden, ob du Mom was sagst? Das machst du doch nicht, oder?“
Würde Cass ihr dafür danken, wenn sie das für sich behielt? Wahrscheinlich. Aber Samantha musste an einen Vorfall aus ihrer eigenen Jugend denken.
Auch wenn sie eigentlich immer ziemlich vernünftig gewesen war, hatte sie sich doch einmal vom rechten Pfad abbringen lassen. Die Leute aus ihrer Clique von Gleichaltrigen hatten sie unter Druck gesetzt, und sie hatte ein paar Ohrringe bei Gilded Lily’s mitgehen lassen. Da sie eine miserable Diebin gewesen war, hatte Lily Swan sie natürlich erwischt und sofort bei Mom angerufen. Von der glamourösen Lily – einem ehemaligen Model, das erst vor Kurzem in die Stadt gezogen war und ihren Laden eröffnet hatte – erwischt zu werden war schon schlimm genug gewesen. Aber den enttäuschten Blick ihrer Mutter zu sehen – das war der schrecklichste Moment in Samanthas jungem Leben gewesen. Mom hatte sie für ihre Missetat bezahlen lassen: Sie musste diverse Sommernachmittage bei Ms Swan in deren Blumenbeeten Unkraut jäten. Das hatte keinen Spaß gemacht, aber es war immer noch besser gewesen als die Scham, die sie verspürt hätte, wenn Mom es Dad erzählt hätte.
„Bitte, bitte, sag es nicht Dad“, hatte Samantha
Weitere Kostenlose Bücher