Schon in der ersten Nacht
schlanken Beine sehen. Einige Strähnen ihres glänzenden weichen Haars hatten sich aus der Spange gelöst, mit der sie es im Nacken befestigt hatte. Sie stellte die Tasche hin und strich sich die Strähnen mit beiden Händen hinter die Ohren.
Seltsamerweise zögerte Sam Rourke, obwohl er sonst ein sehr zielstrebiger Mensch war. Doch dann schüttelte er den Kopf und stieg aus. Sie war ihm eine Erklärung schuldig, denn sie hatte ihn getäuscht und hereingelegt. Mit finsterer Miene schlug er die Tür zu und drehte sich wieder zu der einsamen Gestalt um - aber sie war nicht mehr einsam. Ein großer blondhaariger Mann eilte aus dem Gebäude und lachte, als er sah, wie Lindy sich mit ihrem Haar abmühte. Sein Profil wirkte beinah so perfekt wie das eines griechischen Gottes.
Sie schienen sich gut zu kennen. Der Mann klemmte sich Lindys Tasche unter den einen Arm und legte ihr den anderen um die Schultern. Dann liefen sie zusammen durch den Regen und stiegen in einen silberfarbenen Mercedes.
Sam stand wie erstarrt da. Schließlich setzte er sich wieder ins Auto, verließ den Parkplatz und fuhr hinaus aufs Land. Nach mehreren Meilen hielt er auf einem Rastplatz an. Dann legte er die Arme aufs Lenkrad und den Kopf in die Hände. Als er sich wenig später wieder aufrichtete, hatte er die Kontrolle über sich zurückgewonnen.
In der Küche des ehemaligen Pfarrhauses war es auch an diesem trüben Tag hell und warm. Zwei kleine Gestalten begrüßten Lindys Schwager stürmisch und klammerten sich an seine langen Beine.
"Bess hat Junge! Komm mit!" rief einer der Zwillinge.
"Wo sind sie denn?" fragte Adam.
"In der Schublade mit deinen Socken, Onkel Adam", antwortete der andere der beiden Jungen.
"Wie bitte?"
"Tante Anna sagt, es sei deine Schuld, weil du nie die Schubladen zumachst."
Lindy lachte, als seine beiden Neffen ihn mit sich zogen.
"Tante Hope ist auch da."
Als Lindy das hörte, eilte sie ins Wohnzimmer. "Hope! Warum hast du mir nicht gesagt, dass du kommst?"
"Es sollte eine Überraschung sein." Hope lächelte rätselhaft. Sie saß neben Anna, ihrer anderen Schwester, die als Einzige der Drillinge verheiratet war. Sie war kleiner als ihre beiden Schwestern, sehr schlank und hatte dunkles Haar. Sie wirkte ausgesprochen lebhaft und energiegeladen.
"Ich wusste es auch nicht", erklärte sie. "Komm, setz dich, Lindy.
Du siehst erschöpft aus." Anna schob einige der Kissen weg und klopfte auf den freien Platz neben ihr.
Lindy ließ sich nicht zweimal bitten. In dem Raum mit der hohen Decke herrschten satte erdige Farben vor und feinste Materialien aus Naturfasern. Im Kamin brannte ein Feuer, und die ganze Atmosphäre wirkte entspannend und beruhigend. Als Lindy ihre Schwester betrachtete, verspürte sie so etwas wie Eifersucht. Anna schien während der Schwangerschaft geradezu aufzublühen.
"Man mutet dir allerhand zu mit der Arbeitszeit", meinte Anna.
"Ich finde es unmenschlich, das habe ich Adam auch schon gesagt.
Aber ich kann sowieso nicht verstehen, warum du unbedingt in der Notaufnahme und auf der Unfallstation arbeiten willst."
"Ach, ich liebe meinen Beruf. Es ist bestimmt nicht schwieriger, als sich den ganzen Tag um die Zwillinge zu kümmern." Lindy arbeitete momentan ganz bewusst bis zur Erschöpfung im St. Jude's Krankenhaus, wo ihr Schwager Chefarzt der Orthopädie war.
Manchmal glaubte sie sogar, der anstrengende Job hätte sie davor bewahrt, den Verstand zu verlieren. Sie war wieder zu ihren Eltern auf die Farm gezogen und besuchte Anna oft in dem alten großen Haus.
Eigentlich hatte Lindy genug Menschen um sich. Doch
seltsamerweise kam sie sich jeden Tag einsamer und verlassener vor.
"Wo hast du Adam gelassen, Lindy?" fragte Hope.
"Die Zwillinge haben ihn mit Beschlag belegt", erwiderte sie.
Anna und Adam hatten die vierjährigen Jungen, seine Nichte im Teenageralter und seinen inzwischen zwanzigjährigen Neffen nach der Hochzeit bei sich aufgenommen. Und jetzt erwartete Anna selbst auch noch Zwillinge. Sie wirkte jedoch glücklich und zufrieden.
"Bleibst du länger, Hope?" Lindy streichelte den Hund, der den Kopf auf ihren Schoß gelegt hatte.
"Nein, nur kurz. Heute Vormittag war ich bei Mam und Dad. Mam backt wie wild für irgendeine Veranstaltung."
"Was meinst du denn, warum ich hier bin? Ich hätte die vielen Fragen ihrer Freundinnen nicht ertragen", sagte Lindy.
"Hat das vielleicht etwas mit ganz bestimmten Gefühlen zu tun?"
fragte Hope vage.
"Wenn ich diesem Sam Rourke
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