Schossgebete
ist. Ich bin von Anfang an gemein zu dem Kind gewesen, eifersüchtig. Auf die bedingungslose Liebe seines Vaters zu ihm. Ich dachte mir immer: So liebt der mich nicht. Ganz sicher nicht. Das kenn ich doch irgendwoher. Plötzlich wusste ich, wie meine verhasste Stiefmutter sich immer gefühlt hatte. Ich war wie ein Mann, der seine Frau schlägt. Ich will es nicht machen, entschuldige mich jedes Mal, wenn es passiert, und gelobe Besserung. Kriege aber die Besserung nicht hin. Weil die Gefühle, die Komplexe, meine Kleinheit, meine Verlustängste, der Hass, die Wut, die Trauer viel größer sind als meine Fähigkeit, damit aufzuhören.
All das hat mich jedes Mal überrollt, wenn ich Kontakt zu meinem Stiefsohn hatte. Ich nahm mir fest vor, damit aufzuhören. Ich wusste genau, die große Liebe meines Lebens wird mich verlassen, früher oder später, wenn ich das nicht hinkriege. Und ich habe es jahrelang nicht hinbekommen. Ich war zu meinem Stiefsohn unmenschlich hart. Weil ich es auch nicht anders erfahren hatte. Das war ein ganz klarer Gedanke, an den ich mich erinnere: Warum soll er es besser haben als ich? Warum? Ich war zu meiner Tochter immer freundlich und gnädig, wie man so ist, wenn es das eigene Kind ist, die eigenen Gene. Bei ihm habe ich ganz andere Maßstäbe angesetzt. Er konnte mich nie zufriedenstellen. Ich war kalt und böse und niederträchtig zu ihm. Das wurde über die Jahre so schlimm, dass der Kleine Angst vor mir bekam. Wenn sein Vater wegmusste, zu einem Termin, und das Kind bei mir bleiben sollte, guckte er mich mit Panik in den Augen an und fing an zu weinen. Er klammerte sich an seinen Vater, weil er es auf keinen Fall wollte. Ich spürte, es läuft was falsch, massivst, ich konnte es aber nicht abstellen, nicht länger als einen oder zwei Tage. Dann kam immer das Böse in mir zurück. Ich war nicht gerne so, aber ich war sehr gut darin. In seelischer Grausamkeit. Also, wenn ich was kann, dann das.
Wir haben unterschiedlich große Bauklötzchen aus Pappe, die an einer Seite offen sind. Der Unterscheid in den Größen ist minimal, wenn man nicht alle perfekt ineinanderschiebt, passen sie nicht ineinander, und es bleiben welche übrig. Das ist sehr schwierig für so ein Kind. Er konnte sich vor Angst nicht konzentrieren. Ich sagte ihm, das schaffst du sowieso nicht. Und er schaffte es auch nicht. Nie. Er fummelte nur an den Bauklötzchen rum und guckte mich mit totaler Panik in den Augen an. Ich musste ihm nie körperlich etwas tun, Blicke reichten. Ich stand weit über ihm, er kniete mit den Klötzen auf dem Boden, und ich stierte ihn nur an. Eine grausame Ewigkeit. Er heulte Rotz und Wasser. Ich musste nur früh genug mit dem Spielchen aufhören, damit mein Mann nicht die verheulten Augen sah. Wenn Georg wieder da war, taten Max und ich so, als wäre nichts gewesen. Ich hatte mit ihm gespielt und versucht ihn zu beschäftigen, er konnte das Spiel nur leider nicht so gut. Das ist, was ich als Erklärung parat gehabt hätte. Ich musste aber nie was erklären. Mein Mann spürte, dass etwas nicht stimmte, aber so etwas Grausames hätte er sich bei seiner geliebten Frau nicht vorstellen können. Das Einzige, was er wusste, war, dass sein Sohn ungern mit mir alleine war. Aber gefragt hat er nicht. Er hat wahrscheinlich nur alles Mögliche unternommen, um zu verhindern, dass wir allein zu Hause waren, mein Stiefsohn und ich.
Aber ich konnte nicht aufhören. Ich habe den Stiefsohn als Fremdkörper gesehen. Er war das Produkt von Georgs Liebe zu einer anderen Frau. Alleine das trieb mich schon in den Wahnsinn. Und warum ich abtreiben musste, er aber mit ihr damals ein Kind haben wollte und auch bekommen hat. Ich hatte wie bei den Gorillas das Gefühl, dass man ein Kind aus alten Beziehungen auch einfach totbeißen könne. Er störte mich in meinem Leben, machte unser Leben komplizierter, schon dass ich mich in meinem Hass auf das Kind nicht zügeln konnte, machte viel von unserer Liebe kaputt.
Mein Mann schlug vorsichtig vor, gemeinsam in Therapie zu gehen, nicht nur ich allein, falls unsere Liebe diesen Hass auf seinen Sohn überstehen sollte. Wir stritten uns ständig über Erziehungsfragen. Ich wollte, dass er härter zu seinem Sohn war. Natürlich fand ich, dass er ihn verwöhnte. Und, Achtung: Ich fand auch, dass der Junge zu viel aß. Ganz im Ernst versuchte ich meinem Mann nachzuweisen, dass sein Sohn bei uns zu viel essen würde. Ich war gemeingefährlich. Dieses Kind musste vor mir
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