Schottlands Wächter (German Edition)
komm endlich!” Der Brownie stand schon im Zwielicht unter den Bahnschienen und winkte ungeduldig.
Bryanna leckte sich die spröden Lippen. Sie musste dringend trinken. „Na gut, bis zur Quelle komme ich noch mit.” So schnell sie konnte, folgte sie dem Brownie den Fußweg den Berg hinauf.
Rechts durch die Büsche schimmerte eine etwas tiefer gelegene einspurige Straße, an deren rechter Seite der steinige Bachlauf ins Tal führte. Links von Bryanna stieg das mit Brombeeren überwucherte Gelände steil an. Straße, Bach und Fußweg führten den Berg hinauf. Bald traf der Fußweg wieder auf die Straße, die in einer engen Kurve zu ein paar Häusern aus grauem Stein führte. Ein breiter Waldweg zweigte von der Straße ab und führte am Bach entlang in den noch kahlen Buchenwald. Der Brownie war verschwunden.
Bryanna suchte ihn nicht. Ihre Aufmerksamkeit wurde von einer moosüberwachsenen Quelle gefesselt, deren Wasser aus einer Felswand in ein Steinbecken plätscherte. Ihr Magen knurrte wieder und ihre Zunge klebte am Gaumen. Vorsichtig beugte sie sich zu dem Wasser hinunter. Es roch frisch und moosig. Eiszapfen hingen an fedrigen Farnen über der Quelle, und der Rand des Beckens war gefroren. Bryanna steckte den Finger ins Wasser. Eisig! Mit den Händen fing sie etwas Wasser auf und probierte. Es war zwar sehr kalt, aber köstlicher als alles, was sie bisher getrunken hatte.
Ein Kribbeln zog von ihren Fingerspitzen durch die Hände, die Arme hinauf und vereinigte sich dort mit einem anderen Kribbeln, das vom Mund aus den Kopf und den Hals durchzog. Erst im Oberkörper verlor sich das Gefühl. Bryanna war wie elektrisiert. Neue Kraft pulsierte durch sie hindurch. So muss sich Asterix fühlen, wenn er Zaubertrank getrunken hat . Hinter ihr knirschten Schritte auf dem Waldweg. Sie drehte sich um und sah ein Pferd.
„Hallo”, sagte eine Stimme von weiter oben. Erst jetzt bemerkte Bryanna die zierliche Reiterin. „Schön hier, nicht wahr? Aber du solltest lieber in die Stadt zurückgehen. Es wird bald gewittern.”
Bryanna nickte. Dann fiel ihr etwas ein. Sie fragte: „Haben Sie eine Frau in einem altmodischen, grauen Kleid gesehen?”
„Ja. Sie wollte zum Gipfel hoch.” Die Reiterin zeigte auf einen Weg, den Bryanna ohne ihren Hinweis nie gefunden hätte. Es war kaum mehr als ein Trampelpfad, der schnurgerade den Berg hinaufführte. Bryanna bedankte sich und ging los.
„Du solltest nicht bei Gewitter auf den Berg steigen”, sagte die Reiterin. „Die Wege werden dann rutschig und es gibt einige Stellen, wo du abstürzen könntest. Es sind hier schon einige Leute verunglückt.” Bryanna bedankte sich für die Warnung und versprach in die Stadt zurückzugehen.
„Aber trödle nicht zu lange. Es bleibt nicht mehr lange ruhig.” Die Reiterin setzte ihr Pferd bergab in Bewegung.
Bryanna wartete bis sie hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden war und drehte sich wieder zum Trampelpfad um. Sie zögerte. Vielleicht sollte ich in die Stadt gehen und das Gewitter abwarten , dachte sie. Aber wenn ich Morag jetzt nicht folge, werde ich ihre Spur ganz verlieren. Sie atmete tief durch und ging los, folgte dem steilen Pfad den Berg hinauf in den Buchenwald. Schon nach wenigen Schritten schwitzte sie und ihre Waden schmerzten wegen der steilen Steigung, aber sie gab nicht auf.
Schon nach wenigen hundert Metern fand sie eine Bank mit sehr hohen Beinen, die unter einer alten Buche stand. Das überraschte sie, da die Buchen keinen Blick ins Tal zuließen. Hier kommen wahrscheinlich öfter Wanderer entlang. Dankbar setzte sie sich einen Moment, um sich auszuruhen. Da entdeckte sie ein Stück grauen Stoff, der sich in einer Ritze der Bank verfangen hatte. Die Reiterin hatte Recht. Morag ist tatsächlich hier gewesen. Bryanna stand auf und kletterte weiter.
Bald endete der Buchenwald und nur vereinzelt standen einige Fichten herum. Die Steigung wurde flacher und Bryanna fiel das Gehen leichter. Der Schmerz in ihren Waden ließ langsam nach. Überall waren Teppiche aus den braunen, vertrockneten Stängeln der Farne. Leichter Nieselregen setzte ein und machte den Weg glitschig. Bryanna zog den Kopf zwischen die Schultern und marschierte weiter. Mit jedem Höhenmeter, den sie überwand, wurden die Bäume kleiner und der Regen stärker. Schon begann die Jacke am Rücken durchzuweichen. Bryanna fror.
Der Wind rüttelte an den verkrüppelten Bäumen. Plötzlich krachte nicht weit von ihr ein Ast durch die Baumkronen.
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