Schottlands Wächter (German Edition)
zitterte, und das beruhigte sie etwas. Hand in Hand stiegen die Mädchen den Hügel hinauf.
„Da seid ihr ja endlich”, sagte eine Stimme, als sie zwischen die Bäume traten. Kaylee und Bryanna zuckten zusammen. Vor ihnen stand ein Mann, nicht größer als ein Hase. Im Licht seiner Laterne konnte Bryanna erkennen, dass er unter seinem schwarzen Mantel braune Knickerbocker, lange Strümpfe und ein weißes Hemd trug. Er hob die Laterne und leuchte Bryanna an. „Was ist? Hat die Katze deine Zunge verschluckt?”
Bryanna räusperte sich. „Die weisen Frauen von Dunkeld schicken uns.”
„Glaubst du, ich wäre dumm?”
„Ihr seid vom Kleinen Volk.” Kaylee klang verblüfft.
„Klein? Pah! Ich bin stets so groß, wie ich sein muss. Nun steht hier nicht wie angewurzelt herum. Kommt rein und ruht euch aus.” Er wisperte ein Wort, unterstrich es mit einer Handbewegung und versank in der Erde. Augenblicklich spürte Bryanna ein Kribbeln in Händen und Füßen. Die Bäume um sie und Kaylee wurden riesig groß und das Gras wuchs zu armlangen Halmen. Als sie begriff, dass sie und Kaylee geschrumpft waren, versanken sie auch schon. Drei Herzschläge später saßen sie auf bequemen Sesseln in einer Höhle, die gemütlich eingerichtet und sehr aufgeräumt war.
Der Mann reichte ihnen Becher mit Quellwasser und einen Teller mit gebratenem Fleisch, Brot und Salz. Er war nun einen Kopf größer als Bryanna und grummelte immer noch.
„Kleines Volk … dass ich nicht lache.”
„Der Ausdruck »Kleines Volk« sollte nicht abwertend sein”, sagte Bryanna.
Der Mann kreuzte die Arme vor der Brust und sah sie herausfordernd an. „Ach nein?”
„Es ist nur ein Name, den die Menschen für Euch haben. Und es ist nicht der einzige. Man nennt euch auch Elfen, Feen, Gute Nachbarn, das Ehrliche Volk oder Sidhe.”
„Ja, ja! Ihr Menschen werft mit Namen nur so um euch, das weiß ich wohl. Dabei vergesst ihr die Magie der wahren Namen. Jetzt esst endlich etwas.” Der Mann ließ sich in einen Sessel plumpsen und bediente sich.
Kaylee sagte: „Ich wollte Sie nicht kränken. Ich hatte nur nicht erwartet, hier in Alba einen Ihres Volkes anzutreffen.”
„Warum? Sind wir hier weniger erwünscht als Kelpies oder Brownies?”
Kaylee schüttelte den Kopf. „Aber nicht doch! Ich dachte nur, die Elfen hätten sich aus Alba und Schottland zurückgezogen und die Grenzen versiegelt.”
„Wie ein paar andere war ich mit dieser Entscheidung nicht einverstanden und bin geblieben. Aber warum soll ich mich ausgerechnet vor Kaylee vom Loch Pityoulish rechtfertigen.” Er sah Kaylee mit einem so merkwürdigen Blick an, dass sich Bryanna nicht wunderte, als Kaylee rot wurde. Allerdings wunderte sie sich über den Inhalt der Worte. Sie wollte den Elf eben fragen, was er gegen Kaylee habe, als er eine ausschweifende Handbewegung machte.
„Ruht euch aus. Ihr habt einen weiten Weg vor euch.” Etwas in seiner Stimme zwang beide Mädchen dazu die Augen zu schließen.
Als Bryanna aufwachte, lag sie in einer sandigen Mulde und sah direkt in den Sternenhimmel. Durch die Blätter einer Birke leuchtete der Mond. Der kleine Mann saß neben ihr und starrte sie an.
„Na ja, du siehst nicht grade nach was aus. Aber wenn Morag sagt, dass du es wert bist, wer bin ich, mich mit ihr zu streiten.”
Bryanna war zu benommen, um Fragen zu stellen, also ließ sie den Mann weiter reden. „Ich nehme an, du weißt etwas über die Welten und die Schwachstellen dazwischen.” Bryanna nickte wortlos.
„Gut. Ich bin einer der Wenigen, die dir beibringen können, wie du eine kurzfristige Schwachstelle erzeugen kannst. Durch solche Schleusen, wie wir sie nennen, kannst du zwischen den Welten wandern. Soweit verstanden?”
Bryanna nickte wieder, und der kleine Mann schien zufrieden.
„Das Wichtigste ist, dass du weißt wie die andere Seite aussieht, damit du sie dir vorstellen kannst. Das ist hier besonders einfach, weil diese Sandmulde in Schottland genauso aussieht wie hier in Alba. Schließ die Augen!”
Bryanna gehorchte.
„Nun mal dir aus, wie es auf der anderen Seite aussieht. Es muss nicht ganz exakt sein.”
Bryanna spürte den Sand an ihren Händen. Sie roch die klare Nachtluft und hörte den Wind in den Bäumen rauschen. Sie stellte sich vor, wie sie unter Sternen in einer Sandmulde lag.
„Gut so. Fühlst du das Weltengewebe?”
Jetzt, wo sie der kleine Mann darauf aufmerksam gemacht hatte, spürte sie tatsächlich etwas, das ihr Gesicht
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