Schottlands Wächter (German Edition)
aber Bryanna unterbrach sie. Sie hatte sich an einen Artikel über Menschen in Amerika erinnert, die die Nutzung von Technik ablehnten und so lebten wie vor hunderten von Jahren. „Meine Cousine ist eine Amish aus den USA. Sie besucht mich für ein paar Tage. Technik kennt sie praktisch gar nicht.” Bryanna war sich sicher, dass die Ablehnung von Technik nicht bedeutete, dass die Amish keine Ahnung davon hatten, aber sie hoffte inständig, dass der Fahrer nicht darüber nachdenken würde. Sie hatte Glück.
„Das erklärt natürlich Einiges. Na, wenn es dich interessiert, erkläre ich es dir.”
Kaylees Augen leuchteten auf und ihr Blick klebte an den Lippen des Fahrers, während er sprach. „Ein Auto fährt mit einem Motor und der ist unter der Motorhaube.” Er zeigte nach vorne.
„Ein Motor”, wiederholte Kaylee. „Wie funktioniert so ein Motor?”
Der Fahrer wirkte überrascht. „Willst du es ganz genau wissen?”
Kaylee nickte und der Fahrer begann zu erklären. „Mein Wagen hat einen Viertakt-Motor. Der heißt so, weil die Kolben in seinen Zylindern vier verschiedene Takte durchlaufen. Ansaugen, Verdichen, Zünden und Ausstoßen …”
„Zylinder … Kolben … Vier-Takt”, murmelte Kaylee leise vor sich hin, während sie den Erklärungen des Fahrers mit weit aufgerissenen Augen lauschte. Immer wieder unterbrach sie ihn und fragte ihn Löcher in den Bauch.
Ich hätte nie gedacht, dass sich Kaylee für Technik interessiert . Bryanna hatte das Gefühl, dass die Worte des Fahrers in Kaylees Kopf so weiter klangen, wie die neunmal neun Namen in ihrem. Sie fragte sich, ob sie jemals herausfinden würde, wessen Namen das waren. Wenigstens weiß ich dass der Seannachaidh Stuart MacPherson heißt. Das ist immerhin ein Anfang.
Sie lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster und dachte an ihren Vater und an Morag. Hoffentlich finde ich die beiden bald . Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie Morags Spur ohne die Hilfe der Bewohner Albas nicht wieder finden würde. Ich sollte mir lieber merken, wie es hier aussieht . Dann fällt es mir leichter, zwischen den Welten zu wechseln. So gut es ging versuchte sie, sich die Gegend einzuprägen, durch die sie fuhren.
Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Das gemütliche Sitzen im Auto und die schlaflose Nacht, machten sie müde. Sie gähnte und rieb sich die Augen, um wach zu bleiben. Doch wenn sie die vorbeihuschende Natur betrachtete, gingen ihre Gedanken unaufhaltsam auf Wanderschaft. Erinnerungsfetzen schossen ihr durch den Kopf, Melodien und Träume. Dabei verschwamm die Gegend vor ihren Augen. Sie wurde überlagert von einer wilderen Landschaft.
Bryanna blieb der Schrei im Halse stecken, als das Auto auf einen dicken Baum zuraste. Nichts geschah. Sie sausten durch den Stamm, als wäre er nicht vorhanden. Bryanna atmete erleichtert auf. Für einen Moment hatte sie geglaubt, das Auto aus Versehen nach Alba versetzt zu haben.
Als das Auto direkt durch ein neblig-verschwommenes Gehöft raste, ohne dass der Bauer von seiner Arbeit aufblickte, wurde Bryanna klar, dass sie eine wichtige Entdeckung gemacht hatte. Ich habe einen Weg gefunden, wie ich die andere Seite sehen kann . Wie praktisch! So kann ich vor einem Weltenwechsel nach Gefahren Ausschau halten . Sie lehnte sich zurück und übte es, sich so zu entspannen, dass ihre Augen durch das Weltengewebe hindurch sahen.
Als sie sich Perth näherten, kamen mehr und mehr Häuser in Sicht. Der Verkehr wurde dichter. Bryanna sah vergnügt zu, wie die Autos in Schottland Menschen, Gehöfte und Natur in Alba überlagerten, ohne es zu merken.
„Ich wünschte, ich könnte Auto fahren.” Kaylee seufzte sehnsüchtig. „Dürfen Sie noch lange fahren, wenn Sie uns abgesetzt haben?”
Der Fahrer lachte. „Ich fahre nach Braemar in die Royal Deeside.”
„In der Nähe von Schloss Balmoral?”, warf Bryanna ein. „Wo manchmal die königliche Familie wohnt.”
Kaylee staunte. „Ihr habt einen König?”
Der Fahrer lachte laut. „Erstaunlich, dass du nicht einmal unsere Königin kennst.”
Kaylee zuckte mit den Schultern. „Könnten wir nicht bis nach Braemar mitfahren?”, fragte sie. „Ich möchte noch viel mehr über Motoren wissen.”
„Meinetwegen gern. Von dort fährt schließlich auch ein Bus nach Inverness. Außerdem brauche ich dann nicht durch die Stadt zu fahren.” Der Fahrer bog auf die Umgehungsstraße von Perth ein und erhöhte die Geschwindigkeit.
Kaylee beugte sich fasziniert vor.
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