Schottlands Wächter (German Edition)
bereits ein ganzes Stück weiter gegangen. Sie überlegte, was sie anders hätte machen können, fand aber keine Möglichkeit, wie sie die Tötung der Schlange hätte verhindern können. Den ganzen Abstieg brütete sie vor sich hin. Erst als sie den Wald erreichten und Kaylee eine Pause vorschlug, wendeten sich ihre Gedanken ihren schmerzenden Füßen zu. „Ich fühle mich, als wäre ich den ganzen Tag über Messer gelaufen.”
„Du brauchst bessere Schuhe. Vielleicht habe ich daheim ein Paar, das dir passt.” Kaylee setzte sich mit ihrer Suppe auf einen umgestürzten Baumstamm.
Bryanna setzte sich neben sie und griff ebenfalls hungrig nach ihrer Suppenschale, insgeheim erleichtert, dass Kaylee nicht darauf bestand, die Schlange zu kochen. Allein der Gedanke daran ließ sie schaudern. Sie sah zu den noch kahlen Wipfeln der Buchen hinauf. „Ist das der Wald von Rothiemurchus?”
Kaylee nickte.
„Dann sind wir ja fast in Aviemore. Na endlich.” Bryannas Erleichterung war deutlich zu hören.
Kaylee grinste. „Es ist schon noch ein ganzes Stück. Wir nutzen von jetzt an die »Thieves Road«. Bei Coylumbridge verlassen wir sie und gehen Richtung Loch Pityoulish bis zu meinem Haus.”
Bryanna atmete tief durch. „Das schaff ich. Ich freu mich riesig auf ein heißes Bad und ein weiches Bett.”
„Wir stinken auch schon zum Himmel”, sagte Kaylee grinsend. „Wenn wir ankommen, werde ich gleich Wasser aufsetzen.”
Sie packten ihre Suppenschalen wieder ein und wanderten weiter. Schließlich erinnerte sich Bryanna an etwas.
„Kaylee, hast du keine Angst vor dem Kelpie von Pityoulish? Nach allem, was ich weiß, ist er sehr gefährlich.”
„Keine Sorge. Ich erkenne ihn, ob er als Pferd auftaucht oder als Mensch.”
„Dann ist es ja gut. Ich habe nämlich keine Lust, ertränkt und gefressen zu werden.”
„Du bist wahrscheinlich völlig ungenießbar”, sagte Kaylee. Mit Scherzen und fröhlichem Geplauder verging die Zeit. Bryanna dachte nicht mehr an den Angriff der Schlange. Dafür machten sich ihre Füße immer stärker bemerkbar. Sie humpelte. Als sie hinter Coylumbridge abgebogen waren und den Wald verließen, setzte sie sich auf einen Stein und zog die Schuhe aus.
„Ich kann nicht mehr”, sagte sie.
Kaylee ging in die Hocke, um Bryannas Füße genauer zu betrachten. Sie waren übersäht mit großen Blasen. „Komm, ich helfe dir. Es ist nicht mehr weit zu meiner Hütte.”
Bryanna legte einen Arm über Kaylees Schultern und humpelte so gut es ging weiter. Ein schwarzes Pferd kam auf sie zu getrabt und Kaylee blieb stehen. Sie lächelte. „Hi Dad. Warum bist du nicht zuhause?”
Bryanna zog die Augenbrauen in die Höhe. „Du nennst das Pferd Vater?”
Kaylee zuckte mit den Schultern. „Willst du aufsteigen oder weiter humpeln?”
Als ihr einfiel, wie oft sie bereits vor Kaylee gewarnt worden war, zögerte Bryanna. Dann schüttelte sie den Kopf. Wenn mir Kaylee etwas hätte antun wollen, hätte sie in den Cairngorms genügend Möglichkeiten gehabt. Und sie wird ja wohl ihr eignes Pferd von einem Kelpie unterscheiden können . Sie ließ sich von Kaylee auf den Rücken des schwarzen Pferdes helfen.
Kaylee schwang sich behände hinter sie, und das Tier setzte sich in Bewegung. Bryanna genoss das Gefühl auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen. Als Kind war sie einige Male geritten und es hatte ihr jedes Mal Spaß gemacht.
Nach einiger Zeit entdeckte sie Loch Pityoulish. Er lag zwischen bewaldeten Hügel eingebettet. Flache Uferzonen mit vertrocknetem Schilf wechselten mit steilen, bewaldeten Anstiegen.
Kaylee zeigte an ihr vorbei auf ein kleines Haus.
„Mein Heim!” Stolz lag in ihrer Stimme.
Wenig später hielt das Pferd vor dem Häuschen an, und Kaylee sprang ab.
„Ich setze schon mal Wasser auf.” Sie verschwand in der Hütte. Als Bryanna ebenfalls absteigen wollte, beschleunigte das Pferd aus dem Stand und galoppierte auf den See zu. Bryanna schrie. Kaylee kam aus der Hütte geeilt und starrte Ross und Reiter mit aufgerissenem Mund nach. Dann rannte sie los. „Dad, lass das! Komm sofort zurück!”
Aus Angst abgeworfen zu werden, beugte sich Bryanna vor und umklammerte den Hals des Pferdes mit beiden Armen. Der Strauß aus Ebereschenzweigen fiel aus ihrem Ausschnitt und berührte den Hals des Pferdes. Wiehernd ging es mit den Vorderbeinen in die Höhe. Es klang beinahe, als würde es vor Schmerzen schreien. Bryanna sauste durch die Luft und plumpste unsanft auf den Boden.
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