Schottlands Wächter (German Edition)
zustiegen, betrachteten die beiden Mädchen kopfschüttelnd und setzten sich auf möglichst weit entfernte Sitze. Bryanna war es peinlich, dass sie so zerlumpt aussahen. Daher war sie froh, als der Bus endlich losfuhr.
Schweigend betrachteten sie den Teil der Landschaft, den sie in der Dunkelheit noch erkennen konnten. Es dauerte etwas mehr als eine dreiviertel Stunde, bis sie Inverness erreichten. Am Busbahnhof stiegen sie aus. Bryanna fragte den Fahrer nach dem Weg zum Tomnahurich.
„In der Dunkelheit werdet ihr von dem Friedhof nicht viel sehen können”, antwortete er.
„Wir wollen nur einen ersten Eindruck bekommen”, antwortete Bryanna. Ich kann ihm ja schlecht sagen, dass wir zu den Elfen wollen , dachte sie.
Der Fahrer zeigte auf einen Fußweg, der vom Busbahnhof wegführte. „Also, da geht ihr am besten die Straße dort entlang bis runter zum Fluss, wo ihr nach links abbiegt. Überquert den Ness und folgt der Straße für etwa zwei Kilometer. Ihr könnt ihn nicht verfehlen. Es ist der einzige Hügel in der Gegend.”
Die Mädchen bedankten sich und der Fahrer verabschiedete sich mit einem gutgemeinten Rat. „Wenn ihr in die Stadt zurückgeht, ist die Jugendherberge ausgeschildert.”
Die Mädchen folgten der Wegbeschreibung des Fahrers. Müde schlurften sie durch die Straßen. Bryanna versuchte ihre schmerzenden Füße so gut es ging zu etnlasten. Hoffentlich kann ich heute baden . Ich fühle mich, als wüchsen bereits Algen auf mir .
Schon von weitem sahen sie den Tomnahurich. Wie ein dunkler Schatten erhob er sich über die hell beleuchteten Straßen.
Als sie ankamen rüttelte Kaylee an dem großen, schmiedeeisernen Tor des Friedhofs. Es war verschlossen. Bryanna sah zwischen den Eisenstäben hindurch. Der ganze Hügel war mit Bäumen und Sträuchern bewachsen. Sie konnte die Gräber, die rund um den Elfenhügel angelegt waren, zunächst gar nicht sehen.
„Wie kommen wir hinein?”, fragte Kaylee. Als Antwort wechselte Bryanna die Welt. An einen Baum gelehnt stand ein Mann in einem weiten Umhang. Das Weiß seiner Augen schien zu leuchten, als er Bryanna und Kaylee musterte.
„Ihr seid spät dran”, sagte er mit einer Stimme, weich wie das Wasser eines Moorbaches. „Ich warte schon einige Stunden.”
Auf einen Wink des Mannes schien sich ein Teil des Berges in Nichts aufzulösen. Warmes Licht fiel auf die Mädchen und den Mann. Er trug ein braunes Wams, lange Lederhosen und hohe Stiefel aus weichem Leder. Seine schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und nur die Ponyfransen hingen ihm ins Gesicht. Er erwiderte Bryannas Blick ruhig. Seine Augen waren so blau, wie die Spiegelung des Himmels in den Pools of Dee.
„Kommt herein”, sagte er.
„Ihr seid eindeutig nicht vom kleinen Volk”, sagte Bryanna.
Der Mann lächelte ein Lächeln, das Bryannas Herz schneller schlagen ließ. „Sagen wir, sie sind verhindert. Nehmt einfach an, dass ich sie vertrete.”
„Wer sagt uns, dass wir euch trauen können?”, fragte Kaylee.
„Morag wäre sehr unzufrieden, wenn ich euch nicht pfleglich behandeln würde. Erweist ihr mir nun die Ehre und betretet mein kleines Reich?” Er verbeugte sich und deutete mit einer ausladenden Bewegung auf die Öffnung im Berg.
Bryanna und Kaylee sahen sich an. Dann nickten sie und gingen durch den seltsamen Eingang. Ein langer Korridor führte immer tiefer in den Tomnahurich. Er endete in einem riesigen Ballsaal, der aber kaum beleuchtet war. Im Halbdunkel erkannte Bryanna zahlreiche Männer, die auf niedrigen Betten lagen und zu schlafen schienen. Ein weißes Pferd stand an einer Futterkrippe, ein Bein im Schlaf angewinkelt. Bryanna erinnerte es an die Geschichten von »Thomas dem Rhymer«, die sie in der Schule durchgenommen hatten. Die Ballade aus dem 13ten Jahrhundert handelte von einem jungen Mann, der der Elfenkönigin in ihr Reich folgte und nach sieben Jahren als Seher zurückkehrte. Aber es gab weitere Legenden, die sich um Thomas den Rhymer rankten. Eine davon erzählte, dass er unter einem Berg auf die Stunde größter Not wartete.
Der Mann folgte Bryannas Blick und nickte. „Ja, ich bin Thomas von Erceldoune, den man auch den Rhymer nannte, und dies sind meine Mannen. Wir sind dazu verdammt auf den Tag zu warten, da Alba in großer Not ist.” Thomas führte sie zwischen mehreren Säulen hindurch zu einer Tür. Dahinter lag ein gemütlicher Raum, halb Küche, halb Wohn- und Schlafzimmer. „Habt ihr die Schlange
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