Schottlands Wächter (German Edition)
musst du aber noch üben”, sagte Kaylee und stand auf.
Bryanna saß auf dem nassen, kalten Boden und beachtete sie nicht. Atemlos sah sie zu, wie die Sonne aufging. Die Wolken verblassten langsam von rosa über hellgelb zu weiß und die Bergkette der Drei Schwestern erwachte. Ihre steilen, von Gras überwucherten Hänge leuchteten im Sonnenlicht wie Smaragde. Die Häupter der Schwestern krönten Schneekappen vor einem einzigartig blauen Himmel. Zahlreiche Bäche flossen die Hänge hinab zum Fluss und die regenfeuchte Straße wirkte ebenfalls wie ein Bach, der sich durch das fruchtbare Tal schlängelte. Von dieser Schönheit überwältigt, war Bryanna unfähig sich zu bewegen.
Kaylee zog sie hoch. „Komm schon. Wir müssen weiter.”
Der Schmerz in ihren Füßen ließ Bryanna zusammenzucken und riss sie aus ihrer Bewunderung. Gerne ließ sie sich an die Hand nehmen und auf ein Haus aus grauem Stein zuführen.
„Ich wusste, dass meine Heimat wunderschön ist, aber das hier …”, sie zeigte auf die Drei Schwestern. „Hier wäre ich gerne einmal mit Vater hergekommen. Es ist atemberaubend!”
„In Alba ist das Tal bis auf wenige Felder bewaldet.” Kaylee nickte in Richtung Haustür. „Sieh mal, wir werden erwartet.”
Widerwillig riss Bryanna den Blick von den Bergen los und sah zum Haus hinüber. Sie erkannte den Mann mit dem grauen Haar und den gebeugten Schultern sofort wieder. Als der Seannachaidh sie sah, huschte ein zufriedenes Lächeln über sein trauriges Gesicht und er kam ihnen entgegen.
Kaylee verbeugte sich. „Seid uns willkommen, Seannachaidh.”
„Tretet ein, Kaylee vom Loch Pityoulish und Bryanna McConnachie.” Der Seannachaidh verbeugte sich ebenfalls.
Die Mädchen folgten ihm ins Innere des Hauses. Eine runde Frau mit grauen Haaren erwartete sie. Sie schlug erfreut die Hände zusammen. „Ach, da sind ja ihre lang erwarteten Töchter. Seid willkommen.” Sie hatte einen starken irischen Akzent.
Töchter? Bryanna zog eine Augenbraue in die Höhe. Er hat uns als seine Töchter ausgegeben? Der Seannachaidh, der hinter Frau Foster stand, legte einen Finger auf die Lippen.
Nachdenklich musterte Frau Foster die Mädchen. Bryanna war sich plötzlich bewusst, wie unscheinbar sie mit ihrer blassen Haut und den geflochtenen, schwarzen Haaren aussah. Verstohlen sah sie zu Kaylee, die mit ihren kurzen, roten Locken, ihren Sommersprossen und den Apfelbäckchen aussah, wie das blühende Leben. Unterschiedlicher konnten sie fast nicht sein. Aber Frau Foster war anderer Ansicht. Sie entdeckte Ähnlichkeiten, wo keine waren.
„Sie haben beide Ihre Augen, Mister MacPherson.”
Der Seannachaidh hustete hinter vorgehaltener Hand, um Frau Foster von den feixenden Gesichtern der Mädchen abzulenken. Dann sagte er: „Ich denke, die beiden würden sich gerne frisch machen, bevor wir frühstücken, Frau Foster.”
„Selbstverständlich.” Die Frau reichte Bryanna einen Schlüssel. „Das schönste Zimmer für die Damen. Es hat einen wunderbaren Ausblick.”
Bryanna und Kaylee stiegen die Treppe hinauf, und der Seannachaidh folgte ihnen. In ihrem Zimmer angekommen, ließ sich Bryanna in einen Sessel plumpsen, der am Fenster stand. Ihre Füße schmerzten schon wieder so sehr, dass sie froh war, nicht länger gehen zu müssen. Der Seannachaidh ging vor ihr in die Hocke und zog ihr die Schuhe aus.
„Zeig mal her.” Seine Hände berührten die Blasen, und der Schmerz ließ nach. Bryanna bewegte die Füße.
„Wie haben Sie das gemacht?”
„Annie Norn von den Finne hat es mir beigebracht. Ihr werdet sie kennenlernen.” Bryanna wollte etwas fragen, aber der Seannachaidh ließ sie nicht zu Wort kommen. „Macht euch erst einmal frisch und zieht euch etwas Sauberes an. Ich habe eure Sachen aufs Bett gelegt.” Er zeigte auf zwei Rucksäcke, die auf dem breiten Bett lagen. Dann stand er auf und ging zur Tür. Bevor er das Zimmer verließ, drehte er sich noch einmal um und sagte: „Übrigens wäre es besser, wenn ihr mich duzen würdet. In der heutigen Zeit sieht es seltsam aus, wenn ein Vater von seinen Töchtern gesiezt wird.”
„Ist gut, Stuart.” Bryanna lächelte.
Kaylee nickte zögernd. Als der Seannachaidh verschwunden war, holte sie tief Luft. „Was für eine Ehre!” Sie ließ sich rückwärts neben die Rucksäcke auf das Bett fallen.
„Ich gehe jedenfalls erst einmal Baden.” Bryanna stand auf und öffnete den Rucksack mit ihrem Namen. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung.
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