Schottlands Wächter (German Edition)
und achte gut darauf.” Er drückte ihr etwas Stachliges in die Hand. Überrascht starrte Bryanna auf eine stachelbewehrte, graugrüne Pflanze mit zwei Knospen und einer ballonförmigen Blüte, die von schmalen, violetten Blütenblättern gekrönt war.
„Das ist eine Distel”, sagte sie. „Wenn ich sie mitnehme, wird sie vertrocknen.”
„Das ist nicht irgendeine Distel. Es ist die schottische Distel. Das Symbol von Alba und Schottland und ein Schlüssel zu mehr als diesen beiden Welten. Sie kann nicht vertrocknen.”
„Was, wenn ich sie verliere?”
„Wirst du nicht. Es hat mir geträumt, dass du sie benutzen wirst.” Thomas sah Bryanna in die Augen, und sie steckte die Blume ein. Es wäre töricht, die Ahnungen eines echten Sehers in den Wind zu schlagen. Sie dankte ihm und wollte gehen, aber Thomas legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Eins noch: sei vorsichtig. Kaylee ist von zweifelhafter Abstammung und sie ist ein Mischling. Es ist nicht ratsam, auf sie zu bauen. Wenn sie ihrem Vater ähnelt, wird sie beide Wächter töten, ohne mit der Wimper zu zucken.”
„Kaylee ist ein Mischling? Aber dann müsste sie wissen, dass sie meinen Vater ablösen könnte. Hat sie mir das absichtlich verschwiegen?” Bryanna wurde klar, dass sie Kaylee nicht unbegrenzt trauen konnte.
Thomas zuckte mit den Schultern. „Ich kenne sie nicht und will sie nicht vorschnell verurteilen. Sei aber bitte vorsichtig bei dem, was du ihr anvertraust. Sie könnte gefährlich sein.”
Bryanna wollte etwas erwidern, aber Thomas schob sie ins Freie. „Trödel nicht. Du willst doch möglichst schnell in Glencoe ankommen.”
Bryanna schluckte ihre Worte herunter, als sie Kaylee sah. Sie muss nicht wissen, dass ich immer wieder vor ihr gewarnt werde . Sonst wird sie misstrauisch. Auf Thomas Aufforderung hakte sie sich bei Kaylee unter.
„Nun ruf dein neues Wissen ab. Stell dir vor, es sei ein Skriptorium. Such das Pergament über das Fliegen und öffne es.”
Bryanna versuchte vergeblich sich ein Regal mit Schriftrollen vorzustellen. „Es klappt nicht.”
„Du musst es nicht als Skriptorium sehen. Wähle etwas, was du kennst”, sagte Thomas.
Bryanna dachte an ihren PC daheim. Augenblicklich bildete sich in ihrem Kopf eine Art Monitor. Sie klickte sich durch ein paar Menüs bis sie die richtige Datei gefunden hatte.
Thomas hatte wohl an ihrem Gesichtsausdruck erkannt, dass sie erfolgreich war, denn er sagte: „Folge den Anweisungen, dann seid ihr noch vor Sonnenaufgang in Glencoe.”
Bryanna spürte das Weltengewebe über sich hinweg gleiten, als Thomas sie auf die andere Seite schubste. Alte Grabsteine hoben sich gegen den heller werdenden Himmel ab, und in der Ferne war brummten Autos.
Thomas wird schon wissen, was er tut , dachte Bryanna und schloss die Augen. In Gedanken las sie sich vor, was ihr der ausgedachte Monitor zeigte. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie die Lichter von Inverness weit unter sich liegen. Der Fluss Ness und der kaledonische Kanal spiegelten das Rosa der Morgendämmerung und die beleuchteten Straßen durchzogen die Stadt, wie Adern aus Licht. Jetzt war ihr klar, warum Thomas sie wieder nach Schottland geschickt hatte. An den modernen Straßen konnte sie sich leicht orientieren.
Da Bryanna wusste, wo das Tal von Glencoe zu finden war, beschleunigte sie und sauste mit Kaylee am Arm am Ness entlang Richtung Südwesten. Sie waren so schnell, dass Moore, Wälder und Wiesen zu einem grünen Mischmasch verschwammen. Unwillkürlich zog Bryanna die Handbremse. Zu ihrer Überraschung wurden sie langsamer. Sie sah sich um. Unter ihnen lag ein langes und schmales Loch mit einer Burgruine am nördlichen Ufer.
„Sieh mal, wir sind schon am Loch Ness”, sagte Kaylee.
„Sollen wir nach Alba wechseln und das Loch Ness Monster besuchen?” Bryanna zwinkerte.
Kaylee lachte. „Eigentlich würde ich lieber in warmem Wasser baden.”
„Hoffentlich haben wir bei den Fosters endlich Gelegenheit dazu.” Bryanna folgte der Seenkette bis zum Loch Linne, der eigentlich mehr ein Fjord war als ein See. Dort bog sie nach Süden ab, ließ Ben Nevis, den höchsten Berg Schottlands, rechts liegen und begann zu sinken, als sie über Loch Leven flogen. Am anderen Ufer konnte sie schon die Lichter von Glencoe sehen. Sie überquerte die Stadt und folgte dem Fluss Coe ein kurzes Stück ins Tal. Bryanna landete am Fuße dreier eng beieinander stehender Berge. Sie stolperte und fiel ins Gras.
„Na, das Landen
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