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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urban Waite
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der Tasche und hielt sie in der Hand, als er bei Roys Kombi ankam. Dann hob er die Notfalltasche mit dem Heroin vom Wagenboden auf und schloss die Tür. Von oben hinterließ die rote »Zimmer frei«-Leuchtschrift eine Schicht aus trübem, blutfarbenem Licht auf allem, wie ein Staubfilm in einem vergessenen Zimmer.
    Mit der Tasche in der Hand ging er zur Rückseite des Motels und stieg in den Truck. Er umklammerte das Lenkrad und schwankte leicht vor und zurück, die Hände fest am Lenkrad verankert. »Scheiße«, stöhnte er, zerrte das Wort langsam aus seinem tiefsten Inneren. Mehrmals drosch er rasch hintereinander auf das Lenkrad ein, ehe er den Truck startete und ihn vorwärtsrollen ließ.
    Im Rückspiegel sah er etwas Weißes auf dem Boden. Das Einzige auf dem ansonsten dunklen Parkplatz. Er hielt an und stieg aus, dann ging er zurück und betrachtete den Kaffeebecher, der umgekippt auf dem Kies lag. Prüfend stieß er ihn mit der Fußspitze an und sah zu, wie der Becher ein kleines Stück rollte und dann still liegen blieb. Er konnte den Fluss hören. Ein Pferd bewegte sich in dem Anhänger, und er drehte sich nach dem Geräusch um und ging zurück zu seinem Truck.
    ***
    Der Fahrer zog einen Lappen unter dem Sitz hervor und wischte den Vorschlaghammer sauber. Die beiden Männer saßen bei geöffneten Türen in dem Lexus und blickten zurück zum Haus des Anwalts. Schweiß stand dem Fahrer auf der Stirn, als er mit dem Vorschlaghammer fertig war und den Lappen in die Schatten am Straßenrand schmiss. Überall lagen die Kerne der Spätsommerkirschen; die Kirschen selbst waren längst verschwunden, um die Kerne herum auf dem Boden verrottet, über ihnen kahle Kirschbäume. Ein kalter, pilziger Geruch nach verfaulenden Blättern. »Weißt du die Adresse?«, fragte der andere Mann.
    »Ja.« Der Fahrer stieg aus und ging nach hinten, wo er den Kofferraum öffnete und den Vorschlaghammer verstaute.
    Der andere Mann sah ihm dabei zu, und als der Fahrer zurückkam, fragte er: »Grady Fisher?«
    »Arbeitet irgendwo in South Seattle als Koch, erledigt Aufträge für den Anwalt.«
    »Was für Aufträge?«
    »Aufträge, die sonst keiner haben will.«
    »Solche Aufträge.«
    »Genau solche.«
    Der Fahrer startete den Wagen, und sie fuhren auf die Straße hinaus und nach Süden. Keiner von beiden sagte etwas, bis sie die Interstate erreichten. Es war spät am Abend, und die Fahrbahnen waren so gut wie leer. Ein einsamer Lastzug kam an ihnen vorbei, mit einem Getöse wie dem eines vorüberfahrenden Zuges.
    »Wirst du irgendjemanden anrufen?«, erkundigte sich der Fahrer.
    »Alle«, antwortete der Mann.
    ***
    Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Nora in den Kofferraum zu stopfen. Eine Zeitlang hatte sie einen fürchterlichen Lärm gemacht, hatte auf das Blech eingetrommelt, gegen den Rücksitz getreten. Ungefähr acht Kilometer hielt er das aus und dachte einfach, sie würde sich schon irgendwann abreagiert haben. Schließlich hielt er am Straßenrand an. Augenblicklich stürzte die Nacht auf ihn ein; Nachtfalter und kleine Insekten, die von den Scheinwerfern des Lincoln angezogen wurden, kalte Gebirgsluft, Kiefernduft. Am Boden kleine Häufchen aus Kiefernnadeln, Kies, der zerfurchte Seitenstreifen, Kuhlen voller Regenwasser. Er stand da und lauschte den Geräuschen vom Heck des Wagens. Als sie nicht aufhörten, zog er den Schlüssel hervor und öffnete den Kofferraum, um nach ihr zu sehen.
    Ein Bein schnellte heraus und trat nach ihm. Er wich aus und packte ihren Knöchel, als dieser an ihm vorüberzuckte. Während er sie mit einer Hand festhielt, versetzte er ihr einen raschen Schlag mit der anderen Faust, in der Hoffnung, dass sie das zur Ruhe bringen würde. Sie blieb bei Bewusstsein, also schlug er noch einmal zu, und diesmal war sie weg. Er hoffte, dass Hunt seine Frau liebte; er zählte darauf, und er wusste, dass die Menschen aus Liebe Dummheiten machten. Sie machten nur allzu oft Dummheiten. Und so waren sie wahrscheinlich auch alle in diese Geschichte hier hineingeraten, dachte er. So hatte das wohl alles für sie angefangen. Dumm.
    ***
    Hunt fuhr den großen Dieseltruck, folgte dem Fluss und wartete darauf, dass sein Handy ein Netz fand. Ein Strich zeigte sich auf dem Display und verschwand dann schnell wieder. Er wusste nicht, in welche Richtung Grady mit ihr gefahren war; die Straße, die aus dem Ort herausführte, hatte nach Osten und nach Westen geführt. Er fuhr nach Westen, auf die Berge zu, und hoffte, dass

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