Schreckensbleich
Wagen war auf der anderen Straßenseite geparkt, mit freier Sicht auf Gradys Veranda und die vorderen Fenster.
Das Haus klebte an der Rückseite eines kleinen Hügels; zu lang gewordenes Gras umgab das Fundament, und ein paar Zementstufen führten vom Gehsteig hinauf und wurden dann zu einem kurzen, ebenen Weg, der zur Veranda führte.
Kein Auto in der Einfahrt, nur das leere, ausgehöhlte Gefühl, das das Haus vermittelte; kein Licht, überall Regen. Das Prasseln des Wassers, das sich vom Himmel auf die Windschutzscheibe ergoss und blechern auf den Lexus trommelte. Der Fahrer sah zu, wie eine Katze unter einem zerfetzten Sofa hervorschoss, wie wild über die Straße rannte und in einem der Nachbargärten verschwand.
Der Mann auf dem Beifahrersitz wählte eine Nummer auf seinem Handy und hob es ans Ohr. Sechzig Meter die Straße hinunter leuchtete ein silberblaues Licht auf, durch die Windschutzscheibe eines dunklen Autos. »Irgendwas Neues?«
Sie warteten, alle warteten sie. Der fallende Regen war das Einzige, was ihnen Gesellschaft leistete. Keine Gespräche. Keine Witze.
Der Fahrer sackte in sich zusammen und lehnte den Kopf gegen den Sitz. Noch immer fiel der Regen. Nichts zu tun, außer dieses Haus zu beobachten. Die Seiten mit großen Schindeln verkleidet, zerkratzter grauer Anstrich, hier und da stumpfbraun, wo die Zeit die Farbe abgescheuert hatte.
Autogerüche, der säuerliche, umgekippte Dunst von Zigaretten und alter Essensmief. Die Hände immer noch wund vom Hochstemmen des Granitblocks. Immer noch Muskelkater in den Armen. Der Mann auf dem Beifahrersitz beendete das Telefonat und klappte das Handy zu. Unten an der Straße ging das Licht aus. Sie warteten weiter.
***
Grady lenkte den Lincoln auf die Interstate; ein Wald aus weißen Zypressen umgab ihn. Er trat aufs Gaspedal und fühlte, wie der Motor zupackte, hielt den Wagen auf der Interstate in südlicher Richtung, auf Seattle zu. Noras Handy lag auf dem Armaturenbrett. Er behielt es im Auge und wartete, bis das Display ein deutliches Netzsignal zeigte. Mit einer Hand scrollte Grady die Nummern hinunter, und als er die von Hunt fand, drückte er auf »Anrufen«.
Hunt meldete sich, und das Erste, was Grady sagte, war: »Ich hab sie gefunden.«
Nach einem Augenblick des Schweigens fragte Hunt: »Was wollen Sie tun?« Seine Stimme klang zittrig, und er gab sich alle Mühe, sie zur Ruhe zu bringen.
»Ich will, dass Sie zu mir kommen.«
»Wie mache ich das?«
Grady gab ihm die Adresse seines Hauses in Seattle.
»So einfach ist das?«
»So einfach ist das.«
»Was muss ich tun?«
»Sie bringen mir die Drogen.«
»Und wenn ich sie nicht habe?«
»Natürlich haben Sie sie.«
»Sie stecken in dem Mädchen drin.«
»Dann holen Sie sie raus.« Grady stellte das Telefon auf Freisprechen und ließ es auf den Sitz neben sich fallen.
»Und wie soll ich das machen?« Hunts Stimme erfüllte das Innere des Lincoln mit hohlem, hallendem Telefonlautsprecherklang.
»Ich würde ein scharfes Messer nehmen«, schlug Grady vor.
»Sie ist im Krankenhaus.«
»Ich weiß nicht, ob ich die nötige Geduld für so was habe«, bemerkte Grady. »Wenn ich da hinfahren und das Zeug aus ihr rauswühlen muss, dann tue ich es. Aber es wäre besser für Sie und für Ihre Frau, wenn Sie das machen würden.«
»Ich möchte mit Nora sprechen.«
»Könnte ein bisschen schwierig werden.« Grady klaubte einen kleinen, sonnengetrockneten Fliegenkadaver vom Armaturenbrett und betrachtete ihn. Dann ließ er das Fenster ein kleines Stück herunter und die kalte Luft des frühen Winters herein, nasser Duft nach Kiefern und Bauernhofdunst, Staub und Granit. Mit dem Finger schnippte er die Fliege zum Fenster hinaus.
»Wehe, wenn Sie ihr was getan haben.«
»Sie lebt noch, glaube ich.«
»Wie meinen Sie das, ›glaube ich‹? Ich will mit ihr sprechen.«
»Wie gesagt, könnte schwierig werden.«
»Und warum?«
»Sie ist im Kofferraum.«
»In welchem Kofferraum?«
»In dem von dem Auto.«
»Ich bringe Sie um.«
»Das bezweifle ich.«
»Da gibt’s nichts zu bezweifeln.«
»Machen wir doch mal ein kleines Experiment. Was halten Sie davon?«
»Zuerst will ich mit meiner Frau reden.«
»Das Experiment geht so: Ich lasse sie leben, wenn Sie mir die Drogen bringen. Sie bringen das Zeug zu mir, und ich lasse sie am Leben. Sie drücken es mir in die Hand, und ich lasse sie laufen.«
»Ja, ich hab’s kapiert.«
»Ich bin noch nicht fertig. Die Drogen sind eigentlich nur
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