Schreckensbleich
herab; der Asphalt schien darunter zu verdunsten. Wasserdampf stieg ins Morgenlicht empor.
Es fühlte sich an wie ein kleines bisschen Frieden in einer Serie von ansonsten tragischen Tagen. Was hatte diese Frau mit all dem zu tun? Würden sie auch sie tot vorfinden? Allerdings wusste Drake, dass es um mehr ging als nur die Ehefrau, es war mehr als das.
Ihm kam der Gedanke, dass nichts von all dem passiert wäre, wenn er Hunt und den Jungen in den Bergen einfach durchgelassen hätte. Was hätte er getan, wenn Hunt sein Vater gewesen wäre? Drake konnte es ganz ehrlich nicht sagen. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken, wollte diese Entscheidung nicht treffen. Er hoffte, dass er das niemals würde tun müssen. Der Gedanke reichte aus, dass ihm die Kehle in den Magen sackte, und als er versuchte, zu schlucken, spürte er, wie ein bisschen Galle in ihm aufstieg, wie ein bitteres Andenken.
***
Als Grady bei seinem Haus ankam, hielt er im Regen an, saß da und blickte die Straße hinunter. Er war zwei volle Wagenlängen an seiner Einfahrt vorbeigerollt, der Motor lief im Leerlauf, während seine Hand schon halb im Messerkoffer steckte und nach Eddies 22er suchte. Zwei Köpfe hatte er in dem Lexus hinter ihm gezählt, und drei weitere in dem Wagen vor ihm. Er glaubte nicht, dass Hunt ihn verpfiffen hatte; für so einen hielt er Hunt nicht. Nein, dachte er, Hunt würde allein auf ihn losgehen. Es wäre nicht so wie das hier.
Grady zog die Hand wieder aus dem Koffer und legte den Rückwärtsgang ein. Er setzte zurück und bog in die Einfahrt ein, so dass der Kühler des Lincoln der Straße zugewandt war. Bei ausgeschaltetem Motor überdachte er das Ganze. Das waren bestimmt die Kerle, denen er das Heroin schuldete. Hatten sich wohl an seine Fersen geheftet, als er nicht pünktlich geliefert hatte. Aber er hatte immer noch nur die Hälfte der Drogen. Ungefähr fünfzig Kapseln, die er aus dem Mädchen herausgeholt hatte, das er am Flughafen eingesammelt hatte. Ein richtiger Schreihals; es war eine Freude gewesen, ihr das Messer hineinzurammen, bloß damit sie die Klappe hielt. Verdammt, dachte er, wenn sie die zurückhaben wollten, das würde er hinkriegen. Er hatte sie ordentlich in der Gefriertruhe im Erdgeschoss verstaut, zerlegt und fertig zum Entsorgen. Doch er glaubte nicht, dass sie ihretwegen hier waren, und er glaubte auch nicht, dass fünf Mann aufgekreuzt waren, bloß um das Heroin abzuholen. Er wusste, dass diese Männer zu ihm gekommen waren, um ihm etwas anzutun, und er dachte sich, dass er sie den Versuch machen lassen würde.
Bei laufendem Heizlüfter saß er in dem Lincoln. Es wäre besser, das Heroin einfach zu behalten. Besser für alle. Das Heroin war im Haus, in der Kühltruhe. Nichts rührte sich auf der Straße, der Regen fiel noch immer, und die fünf Männer saßen einfach nur da und warteten auf ihn.
***
Als sie aufwachte, war der Kofferraumdeckel über ihr noch immer geschlossen. Der Wagen hatte angehalten. Sie hörte Regen auf das Blech über ihr prasseln. Schon bei den ersten Atemzügen stieg ihr der Geruch von Asphalt und feuchten Sitzpolstern in die Nase. Mit der Hand betastete sie die geschwollene Haut ihres Gesichts, die aufgequollene Wange, die Beule an der Schläfe. Die Haut spannte straff über der Schwellung.
Nora dachte an die Frau auf dem Parkplatz des Motels. Was hatte sie getan, um so etwas zu verdienen? Was hatte überhaupt irgendjemand verdient? Nora hatte das Gefühl, sie hatte es verdient. Hatte das Gefühl, sie hätte es schon ihr ganzes Leben verdient, seit sie Hunt begegnet war. Sie hatte sich in ihn verliebt, angezogen von ihm und seiner Vergangenheit, jemand, der verletzt war, die Wunde noch sichtbar. Nora mit der Salbe zur Stelle, mit dem Verband und dem Verlangen, zu heilen.
Die Motelangestellte war aus dem Büro gekommen. Sie musste etwas von dem gesehen haben, was geschehen war. Die Pistole hatte sie ganz bestimmt nicht gesehen, das war nicht möglich. Niemand wäre so rausgekommen, wenn er eine Waffe gesehen hätte.
Nora wehrte sich, ihr Entführer hatte sie mit beiden Händen gepackt, seine dicken Arme hielten sie fest, stärker und stabiler, als er aussah für einen Mann von durchschnittlicher Körpergröße.
Eins, zwei, drei. Es ging schnell. Während er Nora noch immer um die Taille festhielt, streckte er die Hand aus, und das Wispern der Kugel war zu vernehmen, als sie die 22er verließ. Die Frau blickte an sich herunter, auf das Blut, das sich auf
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