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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urban Waite
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hielt die 270er am Kolben und verlagerte sein Gewicht auf die Oberschenkel. Die Steine stoben vor ihm davon, polterten übereinander und folgten ihm hangabwärts. »Was erwartest du denn?«, dachte er. Dann hören sie mich eben, na und? Die sind bestimmt sowieso schon so gut wie weg. Ist wahrscheinlich besser so.
    Er hielt inne, um das Ding in der Luft zu beobachten. Die Ladung trieb über den Wald hinaus und hing dort einen Moment in der Luft. Drake wartete nicht ab, was sie tun würde, er war bereits losgerannt. Es war weit. Er schätzte, dass er bereits dreihundert Höhenmeter hinter sich hatte, und ungefähr hundertfünfzig lagen noch vor ihm, bis er die Talsohle erreichte. Wieder hielt er an, lauschte, suchte den Wald mit einem langen, eindringlichen Blick ab. Er wusste nicht, was er dort vorfinden würde.
    Er kam sich blöd vor. Das Gefühl überkam ihn völlig unverhofft. Jemand anderes könnte hier sein, jemand anderes könnte das hier tun. Wieso er, an seinem freien Tag? Doch er wusste, dass er das nicht so stehenlassen konnte, und er machte sich in vollem Lauf auf den Weg durch den Wald, erahnte die Senken im feuchten Boden im Voraus.
    ***
    Nachdem sie die Säcke auf die Pferde geladen hatten, zog Hunt sämtliche Gurte nach. Der Junge war ein Stück weit weggegangen, er stand auf der Wiese, rieb sich die Arme und sah zu dem Gletscher hinauf. Als er zurückkam, lächelte er. »Und was jetzt?«
    Hunt erinnerte sich an die Zeit, als er ein Junge gewesen war, vor Jahren; so viel von seinem Leben schien durch die Zeit geteilt, die er verloren hatte, als wäre während dieser zehn Jahre, die er fort gewesen war, eine Mauer gebaut worden. Er konnte sich daran erinnern, mit seiner Mutter zu Hause zu warten. An das Versprechen, das ihm sein Vater gegeben hatte, ihn zum Pferderennen mitzunehmen. Und er wartete auf seine Rückkehr, als wäre es das Einzige, was zählte, obwohl Hunt jetzt wusste, dass es nicht so war.
    Die Entscheidungen, die er getroffen hatte, hatten ihn hierher gebracht. Jetzt konnte er auf sie zurückblicken, sie vernünftig begründen, und doch, trotzdem fühlte er jenes schwache Erregungsgefühl einer Möglichkeit in sich anwachsen. Wie ein altes Stück verkohltes Holz, das, längst verbrannt und zur Seite geschoben, ein wundersames Licht auszustrahlen beginnt.
    Eingehend betrachtete Hunt den Waldrand. Sie hatten keine Zeit für die Erregung des jungen Mannes oder für seine eigene, keine Zeit, innezuhalten, zu träumen oder auf Dinge zu hoffen, die sich ergeben mochten oder auch nicht. Das lackblanke Mondlicht überzog ihre Gesichter, alles schieferblau, und der Lichtschimmer fing sich in den Trensen. Dieser Teil des Ganzen war ihm verhasst. Er wollte es lieber hinter sich haben, statt hier zu warten. Hunt schlang die Zügel um die Hand und wies den Jungen an, mitzukommen.
    Er hatte sich nie an den nächtlichen Wald gewöhnt. Lieber raus hier, dachte er. Lieber zu Hause im Bett liegen. Eine Erinnerung an Nora stieg in ihm auf, der Schnitt ihres Nachthemdes, wenn sie im Bett lag, mit dem Rücken zu ihm, und das Licht durch die Rollos drang. Lieber zu Hause sein, dachte er. Lieber weit weg von hier.
    Hunt und der Junge gingen ein Stück, führten die Pferde am Zügel und teilten das Gras vor sich. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Überhaupt keinen.
    ***
    Als Drake aus dem Wald hervorbrach, konnte er die beiden Männer sehen, die auf der anderen Seite der Wiese ihre Pferde führten. Er sank auf ein Knie und spürte, wie die Feuchtigkeit des taubedeckten Grases durch den Stoff seiner Hose drang und seinen Schenkel hinaufkroch. Durch das Zielfernrohr erschienen die Männer fast genau vor ihm; sie wandten ihm den Rücken zu. Die Pferde waren mit großen Säcken beladen. Drake konnte nicht sagen, was sie enthielten, aber er konnte es sich denken. Und er nahm an, dass er recht haben würde.
    Während er die beiden beobachtete, redete er auf sich ein. »Nicht bewegen. Mach bloß keinen Blödsinn und lass dich abknallen.« Er konnte keine Waffen an den Männern ausmachen, doch das hieß nicht, dass sie keine hatten, das war ihm klar.
    Die Hand in die weiche Erde gestützt, stemmte er sich hoch und glitt zurück in den Wald, folgte den Bäumen an dessen Rand, bis er fast genau auf gleicher Höhe mit den beiden Männern war. Drake trat behutsam auf, erst die Zehen, dann die Ferse, schlich von Baum zu Baum. Er hörte das Ziehen der Pferdelungen, das Geräusch von Gras, das sich teilte und wieder

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