Schrei Aus Der Ferne
frisches Scone mit Butter und Marmelade, und Beatrice legte überzeugenddar, dass sie unbedingt sowohl eine große heiße Schokolade mit Sahne und Zuckerstreuseln
und
Schokoladenraspeln als auch ein Stück Erdbeerkäsekuchen haben müsse.
Sie liefen auf dem schmalen Weg zwischen dem Fluss und dem Meer entlang, schlängelten sich zwischen bunten Fischerbooten hindurch, die auf dem Kiesstrand lagen, und Beatrice bückte sich immer wieder, wenn sie eine Muschel entdeckte, die sie für ihre Sammlung gebrauchen konnte.
»Sieh mal! Sieh dir die an. Ist die nicht hübsch?«
»Sie ist schön.«
Ruth strich ihrer Tochter die Haare aus den Augen und lächelte.
»Was ist?«, sagte Beatrice und blinzelte in die Sonne.
»Nichts. Ich bin nur glücklich, das ist alles.«
»Du spinnst«, sagte Beatrice, drehte sich blitzschnell um und rannte auf den Rand des Wassers zu, wobei unter ihren Flip-Flops kleine Steine in die Höhe sprangen.
Sie aßen ihre Sandwiches im Windschatten einer der zahlreichen Fischerhütten und beäugten dabei wachsam die gierigen Möwen, die über ihnen kreisten. In Schottland war einmal eine Silbermöwe herabgestoßen und hatte Ruth ein Sandwich aus der Hand gerissen, als sie es gerade an den Mund hob. Ruth war erschrocken und irritiert zurückgeblieben und hatte nur noch zwei Zentimeter Brotkruste in der Hand gehalten.
In der Ferne lag ein Dunstschleier über dem Meer, sodass der Horizont fast ganz verschwunden war und See und Himmel eins waren.
»Komm mit«, sagte Ruth und stopfte die Sachen wieder in den Rucksack, »ich möchte dir etwas zeigen.«
Von Weitem sahen die Stahlgebilde, die sich am nördlichenEnde des Strands erhoben, wie riesige Fächer aus, und als sie näher kamen, wie Engelsflügel.
»Was ist das?«, fragte Beatrice.
»Wart’s ab.«
Je näher sie kamen, desto größer wurden die Formen, bis sie an der höchsten Stelle etwa vier Meter hoch und fast genauso breit waren.
»Es sind Muscheln«, sagte Beatrice.
»Das stimmt, Kammmuscheln.«
»Und was haben sie hier zu suchen?«
»Eine Künstlerin hat sie gemacht, Maggi Hambling. Als Tribut für Benjamin Britten.«
»Für wen?«
»Er ist Komponist. War er vielmehr. Früher hat er hier in der Nähe gewohnt. Ein großer Teil seiner Musik handelt vom Meer.«
Beatrice zuckte die Achseln und presste ihre Hand an die Oberfläche der eisernen Muschel. »Sie ist warm.« Sie legte ihr Gesicht daran und schloss die Augen.
Ich liebe dich, dachte Ruth. Von Herzen. Ich liebe dich wirklich.
»Sieh mal«, sagte Beatrice, »da oben am Rand steht was. Was steht da?«
»Lies es doch.«
»
I hear those voices that will not be drowned
.«
»Es stammt aus einer seiner Opern«, erklärte Ruth. »›Peter Grimes‹.«
»Von dem Mann? Benjamin Britten?«
»Ja.«
»Was soll es heißen?«
»Was glaubst du denn?«
Beatrice wedelte mit den Händen. »Ich weiß nicht.«
»Aber gefällt sie dir? Die Skulptur?«
»Ganz in Ordnung.«
»Manche Leute mögen sie nicht. Leute aus dem Ort hier. Sie haben Farbe darübergeschüttet und alles Mögliche. Sie meinen, sie sollte abgebaut oder woanders hingebracht werden.«
»Die sind blöd.« Beatrice hielt sich die Hand vor die Augen. »Können wir jetzt gehen?«
Auf halbem Weg zurück zum Auto ließ Beatrice Ruths Hand los und trödelte mit gesenktem Kopf hinterher.
»Komm schon«, sagte Ruth fröhlich. »Es ist nicht mehr weit. Wir sind fast da.«
Als Ruth die ersten Häuser erreichte, war Beatrice gute fünfzig Meter hinter ihr. Sie nahm den Rucksack vom Rücken und setzte sich zum Warten auf eine Bank.
Nach einer Weile kam Beatrice auch, aber sie blieb stehen, trat von einem Fuß auf den anderen und sah überallhin, nur nicht in die Augen ihrer Mutter.
»Was ist los?«, fragte Ruth.
Keine Antwort.
»Willst du es mir nicht sagen?«
Ein Kopfschütteln.
»Setz dich doch einen Augenblick hin. Wir können uns eine Minute ausruhen, bevor wir zum Auto gehen.«
Zuerst sah es so aus, als wollte Beatrice stehen bleiben, dann aber setzte sie sich widerwillig neben ihre Mutter, nahe, aber nicht nahe genug, um sie zu berühren. Die Flip-Flops hingen auf den Boden herab.
»Diese Stimmen, die nicht zum Verstummen gebracht werden können«, sagte sie schließlich. »Das ist sie, stimmt’s? Heather. Und deshalb sind wir hergekommen, ihretwegen. Das stimmt doch?«
»Eigentlich nicht, nein.«
»Aber du warst schon mal hier? Mit ihr?«
»Ja«, gab Ruth zu.
»Weil ihr das – das Muschelding
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