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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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oder zehn das Haus verlassen mussten. Beim Mittagessen war das natürlich nichtmachbar, aber zum Abendbrot das gleiche Ritual. Er hat gemeint, das würde sich so gehören. Erst vor drei, vier Jahren hat sich das geändert, da hat er angefangen, oft auswärts zu essen. Manchmal haben wir ihn tagelang kaum zu Gesicht bekommen. Er war zwar hier auf dem Hof, mehr aber auch nicht.«
    »Haben Sie gar keine Großeltern oder Onkel und Tanten?«
    »Nee, die sind alle tot.«
    »Ich habe gehört, dass Ihr Vater den Hof nach dem Tod seines Vaters übernommen hat. Sie haben Ihren Großvater sehr früh verloren …«
    »Er ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, da war ich noch ziemlich klein. Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass er irgendein defektes Gerät im Stall reparieren wollte, und dabei hat’s ihn erwischt. Sie sehen, Unfälle prägen unsere Familiengeschichte. Meine Großmutter hat ihn nicht mal ein Jahr überlebt, Krebs.« Thomas machte eine Pause und schien für kurze Augenblicke mit seinen Gedanken weit weg zu sein, bevor er mit verklärtem Blick weitersprach: »Meine Großeltern waren klasse, soweit ich mich überhaupt an sie erinnern kann. Das meiste weiß ich aus den Erzählungen meiner Mutter. Wenn die heute noch leben würden, wäre alles ganz anders gelaufen, dann hätte mein Vater sicher nicht so eine Scheiße gebaut.«
    »Herr Wrotzeck, ich weiß, das hört sich jetzt für Sie möglicherweise dumm an, aber Hass frisst einen von innen auf …«
    »Und? Das ist doch ganz allein mein Problem. Sie hätten mal bei der Beerdigung dabei sein müssen, inklusive Pfarrerwaren wir zwölf … Trauernde. Und die Hälfte davon kannten meine Mutter und ich gar nicht. Ich nehme an, es waren Leute aus dem Puff. So viel zum exzellenten Ruf des Alten.«
    »Trotzdem …«
    »Sparen Sie sich Ihre Belehrungen, ich kann mit dem Tod des Alten ganz gut leben. Hört sich gut an, was? Mit dem Tod leben. Wow!«
    »Sie sind so jung und schon so zynisch …«
    »Und? Ohne Zynismus hätte ich diese ganze Scheiße nicht überlebt. Mein Vater, dieser verdammte Bastard, war das größte gottverdammte Arschloch, das mir je über den Weg gelaufen ist. Wenn’s nur einmal gewesen wäre, kein Thema. Aber zweiundzwanzig Jahre lang! Ich bin froh, dass er weg ist. Und jetzt halten Sie mich von mir aus für pietätlos, undankbar, gehässig, ist mir scheißegal! Und soll ich Ihnen auch verraten, warum?« Thomas beugte sich nach vorn. »Ich kann’s Ihnen sagen, ich hoffe jedoch, Sie behalten’s für sich. Schauen Sie sich meine Mutter an, die ist zu einem Zombie geworden. Es ist ewig her, dass sie gelacht hat, und weinen hab ich sie nur einmal gesehen, das war nach dem Unfall von Allegra. Aber sie hat wirklich nur einmal geweint. Und das war alles die Schuld meines ehrenwerten Herrn Vaters! Hätten Sie die vergangenen Jahre hier verbringen müssen, Sie würden meinen Zynismus sehr gut verstehen.«
    »Aber Ihre Schwester war doch …«
    »Allegra ist und war nicht, um das klarzustellen! Sie ist eine Ausnahme. Ich hab mir oft gewünscht, so zu sein wie sie. Hat leider nicht funktioniert. Ihr ist da was mitgegebenworden, das ich nicht habe. Sie ist die Liebe in Person, ich bin ein waschechter Zyniker.«
    »Ach ja, hätt ich beinahe vergessen«, sagte Brandt und fuhr sich mit einer Hand übers Kinn. »Warum haben Sie mir eigentlich nicht erzählt, dass ein gewisser Herr Caffarelli Ihre Schwester jeden Tag in der Klinik besucht?«
    Thomas zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, daran hab ich gestern nicht gedacht. Aber wenn Sie’s schon wissen, ist’s ja gut.«
    »Warum macht Caffarelli das?«, fragte Brandt.
    »Weil er einfach ein klasse Typ ist. So, wie der sich um andere kümmert«, Thomas schüttelte den Kopf. »Ich frag mich, wie der noch Zeit hat, sein Geschäft zu führen.«
    »Aber jeden Tag zwei Stunden.«
    »Wie lange? Zwei Stunden? Sorry, aber das hör ich heute zum ersten Mal. Keinen Schimmer, warum er das macht.«
    »Er war gestern bei Ihnen, ich hab ihn gesehen, als ich losgefahren bin. Ist er oft hier?«
    »Oft nicht. Er kommt überhaupt erst, seit der Alte unter der Erde liegt. Vorher hätte er sich nicht hergetraut.«
    »Warum nicht?«
    »Weil mein Alter ihn hochkant rausgeschmissen hätte. Der hatte was gegen Caffarelli und seine noble Art. Na ja, so ist das eben, wenn ein ungehobelter Bauer auf einen feinen Herrn trifft. Obwohl, der Alte konnte auch ganz schön liebenswürdig sein, aber nur, wenn er dafür etwas bekam.«
    »Und

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