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Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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und beobachtete ihn.
    Sein Blick begegnete keine Sekunde lang dem ihren.
    Erich, der sogar Telefonieren haßte, Erich, einer der zurückhaltendsten Menschen, die sie je gekannt hatte, er, der sich aus Zorn, daß Kevin angerufen und sie getroffen hatte, ihr entfremdet hatte.

    Die Verhandlung war zu Ende. Der amtliche Leichenbeschauer sagte in seiner Zusammenfassung, eine Druckstelle an der rechten Schläfe des Verstorbenen könne beim Aufprall unmittelbar nach dem Sturz ins Wasser oder aber vorher durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand entstanden sein.
    Als offizielle Todesursache wurde auf Tod durch Ertrinken erkannt.
    Aber als Jenny das Gerichtsgebäude verließ, wußte sie, welches Urteil die Leute der Umgebung verhängt hatten.
    Sie war bestenfalls eine Frau, die sich heimlich mit ihrem geschiedenen Mann getroffen hatte.
    Und schlimmstenfalls hatte sie ihn umgebracht.
    In den drei Wochen nach der Untersuchung folgten die Mahlzeiten, bei denen Erich abends dabei war, immer einem bestimmten Muster. Er wandte sich nie direkt an sie, nur an die Mädchen. Er sagte zum Beispiel:
    »Würdest du Mami bitten, die Brötchen herüberzureichen, Tinker Bell?« Sein Ton war immer warm und herzlich. Es hätte feiner Ohren bedurft, um die Spannung zwischen ihnen wahrzunehmen.
    Wenn sie die Mädchen ins Bett brachte, wußte sie nie, ob er dann noch im Haus war, wenn sie wieder nach unten kam. Sie fragte sich, wohin er ging. Zur Hütte? Zu Freunden? Sie wagte nicht zu fragen. Wenn er im Haus schlief, dann in dem hinteren Schlafzimmer, das sein Vater so viele Jahre benutzt hatte.
    Sie hatte niemanden, mit dem sie reden konnte. Irgend etwas sagte ihr, daß er darüber hinwegkommen würde.
    Manchmal ertappte sie ihn dabei, wie er sie mit so viel Zärtlichkeit im Gesicht ansah, daß sie sich Mühe geben mußte, ihn nicht zu umarmen, ihn nicht anzuflehen, er möge an sie glauben. Sie trauerte, daß Kevin so sinnlos gestorben war. Er hätte soviel erreichen können; er war so begabt gewesen. Wenn er nur mehr Disziplin gehabt hätte, wenn er sich nicht immer wieder an eine andere Frau gebunden hätte, wenn er weniger getrunken hätte…
    Aber wie war ihr Mantel in den Wagen gekommen?
    Als sie eines Abends nach unten ging, saß Erich am Küchentisch und trank Kaffee.
    »Jenny«, sagte er. »Wir müssen miteinander reden.«
    Nicht sicher, ob das, was sie fühlte, Erleichterung oder Angst war, setzte sie sich hin. Nachdem die Mädchen im Bett waren, hatte sie geduscht und das Nachthemd und den Morgenrock angezogen, die Nana ihr geschenkt hatte. Erich musterte sie aufmerksam.
    »Dieses Rot paßt hervorragend zu deinem Haar.
    Dunkle Wolke auf Rot. Symbolisch, nicht wahr? Wie dunkle Geheimnisse einer schönen Frau. Hast du ihn deshalb angezogen?«
    Darüber wollte er also reden. »Ich habe ihn angezogen, weil mir kalt war«, antwortete sie.
    »Er steht dir sehr gut. Vielleicht erwartest du jemanden?«
    Merkwürdig, dachte sie, ich kann trotz allem noch Mitleid für ihn empfinden. Ganz unvermittelt fragte sie sich dann, was wohl schlimmer für ihn gewesen sein mochte, Carolines Tod oder die Tatsache, daß Caroline vorgehabt hatte, ihn zu verlassen?
    »Ich erwarte niemanden, Erich. Wenn du das Gegenteil glaubst, warum bleibst du dann nicht nachts hier und überzeugst dich selbst?« Sie wußte, daß sie empört und zornig sein sollte, aber im Moment empfand sie, was ihn betraf, nur Mitgefühl. Er sah so verunsichert aus, so verletzlich.

    »Erich, all das tut mir so schrecklich leid. Ich weiß, daß die Leute reden, und mir ist klar, wie unangenehm das für dich sein muß. Aber ich habe keine logische Erklärung für das, was geschehen ist.«
    »Dein Mantel.«
    »Ich weiß nicht, wie er in den Wagen gekommen ist.«
    »Du erwartest, daß ich das glaube?«
    »Ich würde es dir glauben.«
    »Jenny, ich möchte ja, aber ich kann nicht. Ich glaube allerdings eines. Wenn du einverstanden warst, daß MacPartland hierherkam, wolltest du ihn vielleicht warnen, nicht ins Haus zu kommen. Das kann ich akzeptieren. Aber ich kann nicht mit dieser Lüge leben.
    Gib zu, daß du ihn eingeladen hast, und ich werde mich bemühen, es zu vergessen. Ich kann mir vorstellen, wie es passiert ist. Du wolltest ihn nicht ins Haus kommen lassen und bist mit ihm ans Ende der Straße beim Fluß gefahren. Du hast ihn gewarnt, und du hast deinen Schlüssel in der Hand gehabt. Vielleicht wollte er dich küssen. Hast du dich gewehrt? Du hast dich losgerissen, und dabei

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