Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
wirklich ernst nehmen.
Und doch begann die eigentliche Erfolgsgeschichte Zalandos in der Breite des Marktes mit der Ausstrahlung des ersten dieser schrägen Werbespots. Und noch heute schnellt die Zahl der Besucher und dann auch die der Bestellungen auf den Zalando-Seiten in die Höhe, wenn einer dieser Spots im Fernsehen läuft, egal in welchem Land. Also muss doch etwas dran sein an dem ganzen Blödsinn. Irgendeinen Schalter im Kundenhirn scheint diese Art der Reklame zu treffen und umzulegen. Tatsächlich setzen diese so locker hingeworfen wirkenden Spots eine hochrationale und ebenso rationelle Verkaufsmaschine in Gang, die eines der wesentlichen Erfolgskriterien für Zalando darstellt.
»Genial gelungen« findet denn auch Stephan Grünewald, der wohl bekannteste Konsumpsychologe in Deutschland, die Spots. »Dadurch, dass diese Freude vollkommen überzogen dargestellt ist, kann man drüber lachen. Und zwar ohne sich ertappt zu fühlen, darauf reinzufallen«, erklärt der Mitgründer des renommierten Marktforschungsinstituts Rheingold in Köln. Die Rheingold-Psychologen interviewen im Auftrag von Unternehmen jedes Jahr Tausende Verbraucher, um herauszufinden, welche Art von Werbung oder Selbstdarstellung eines Herstellers oder Händlers die Konsumenten zum Kaufen bewegt. Für Zalando hat das Institut bisher nicht gearbeitet.
Grünewald konstatiert, dass bei aller Übertreibung das Glücksgefühl angesichts der Lieferung des vor einigen Tagen bestellten Schuhs oder des Tops oder des Rocks durchaus treffend dargestellt ist. Und genau dieses Glücksgefühl der Mädchen im Spot möchte die Zuschauerin, zunehmend auch der Zuschauer, aus der Zalando-Zielgruppe ebenfalls erleben. Wenn das tatsächlich so ist, dann hat der Spot funktioniert.
Bei der Erklärung, warum das so ist, wird es richtig psychologisch. Und wie so oft in dieser Wissenschaft werden die Erklärungen in der Kindheit gesucht: »Es ist tatsächlich ein bisschen wie Weihnachten. Und der Fahrer von DHL ist der moderne Nikolaus, der manchmal wöchentlich oder sogar noch öfter Geschenke bringt. Und das Auspacken ist dann wie Bescherung«, erklärt Grünewald den Zalando-Effekt. Heiligabend 2.0 für Erwachsene sozusagen, Bescherungsnervosität reloaded. Zalandos Werbeagentur Jung von Matt spielte beim Weihnachtsspot 2012 mit genau diesem Bild: Der junge, schlanke Zalando-Bote stach, auf dem Dach eines weihnachtlich geschmückten Hauses stehend, den dicken, alten Weihnachtsmann nach kurzer Diskussion der beiden Herren um die Zuständigkeit für die Paketübergabe einfach aus. Der Zalando-Bote schwang sich als erster den Kamin herunter, um die Geschenke abzuliefern. Der Generationenwechsel im Bescherungsmanagement war vollzogen. Jetzt hieß es: Online statt oller Mann mit Bart, Zalando statt Santa!
Onlinehändler wie Zalando schaffen es nach Ansicht von Psychologe Grünewald auch außerhalb der Weihnachtssaison, das Auspacken der Bestellung »zu einem Prozess von ganz eigener Sinnlichkeit zu machen, mit einer eigenen Spannung und einem Hauch Überraschung«. Überraschung? Die Kundin sollte doch wissen, was drin ist im Paket, sie hat es schließlich selber bestellt. Für dieses Phänomen hat der Psychologe eine überraschende Erklärung: bewusstes Vergessen. »Um die kindliche Freude und das Überraschungsmoment wie einst zu Weihnachten auch im Erwachsenenalter immer wieder zu erleben, denken vor allem Frauen zwar daran, dass sie etwas bestellt haben, aber nicht mehr genau an den Artikel. Studien haben gezeigt, dass Frauen manchmal schon nach einer Stunde nicht mehr auf Anhieb sagen können, was sie gerade bestellt haben. Bestellen Kunden oft bei mehreren Online-Händlern, sind sie oft tatsächlich freudig überrascht über das, was der DHL- oder Hermes-Mann dann bringt. Obwohl sie genau dieses Paar Schuhe oder diese Hose erst wenige Tage zuvor ausgewählt und bestellt hatten. Keine Sorge also, liebe Leserin oder lieber Leser, wenn Sie diese Symptome an sich beobachten: Sie sind ganz normal, Sie leiden nicht an digitaler Demenz!
Der »Schrei vor Glück«, der maßgeblich zur Image- und Markenbildung von Zalando beigetragen hat, scheint selbst seine Schöpfer noch zu begeistern. »Zalando ist pures Konsumentenglück. Frech, unberechenbar und aufregend, wie Mode idealerweise ist«, frohlockt Dörte Spengler-Ahrens von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt, die sich schon den Slogan »Geiz ist geil« der Elektronikhandelskette Saturn ausgedacht hat.
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