Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
Partys. Klassische Warenhaus- oder Boutique-Kunden sind über derlei Unentschlossenheit und Ressourcenverschwendung fassungslos.
Trotz derlei Ausreißer geben sich die Zalando-Bosse gelassen. »Retouren sind kein Problem, sondern ein wesentliches Element des Onlinehandels. Und wir haben auch nicht die Absicht, unseren Kunden die Freiheit zu nehmen, Sachen zurückzuschicken«, sagt David Schneider (15.01.13, WamS). Und Gebühren wollten sie weiterhin dafür nicht verlangen. Denn das, was bei stationären Händlern die Mietkosten für ihre Läden sind, ist bei den Onlinern der Aufwand, der für die Retouren getrieben wird: Ohne diese Investitionen läuft der Laden nicht, egal ob stationär oder Online.
Eine Marktregel läuft dabei gegen Zalando: Je niedriger der Verkaufspreis, desto niedriger sind auch die Retourenquoten. Bei einem Billigteil für wenige Euro machen sich die meisten Kunden offenbar nicht die Mühe, es zurückzuschicken, wenn es nicht gefällt oder nicht passt. Bei den teureren Modellen – und Zalando ist eher in dieser Preisklasse aktiv – aber schon.
Dabei gibt es eine Unterscheidung in gute und schlechte Retouren. Denn eine Regel aus der klassischen Boutique gilt auch im Onlinehandel: »Je mehr Teile die Kundin in die Kabine nimmt, desto mehr kauft sie am Ende auch«, sagt Michelberger. Wobei die Umkleidekabine der Zalando-Kundin die eigene Wohnung ist. »Onlinehandel ohne Retouren – das wäre, als ob man im stationären Laden die Ware nicht anfassen dürfte. Es gehört einfach zur Vorbereitung der Kaufentscheidung dazu«, so Michelberger. Die Onlinebestellung ist sozusagen der Stapel an Klamotten, den die Kundin in die virtuelle Kabine mitnimmt. Retourenrate und Conversion Rate bewegten sich damit üblicherweise einigermaßen im Gleichschritt.
Diese Retouren wären also die »guten«, gegen die der Händler gar nichts unternehmen müsste, im Gegenteil. Ingo Heinrich vom Münchener Modeportal stylefruits spricht denn auch lieber von der »Auswahlquote« als von der »Retourenquote«: »Natürlich schicken Kunden Teile auch zurück, weil sie nicht passen. Aber die meisten kommen doch zurück, weil sich Kundinnen oder Kunden einfach viele Produkte zur Auswahl schicken lassen. Das gehört einfach zum Versandhandel dazu.«
Und die »schlechten« Retouren? »Die entstehen dadurch, dass der Kunde schlicht das Falsche bestellt hat: weil die Ware schlecht beschrieben, das Produkt nicht aussagekräftig fotografiert oder die Passform oder der Schnitt anders war als versprochen. Sie kommen also dadurch zustande, dass der Onlinehändler einen schlechten Job gemacht hat. Die liegen nicht am Kunden«, sagt Esprit-Onliner Michelberger, dessen Unternehmen recht erfolgreich nicht nur über den eigenen Webshop, sondern auch über Zalando verkauft.
Während viele Händler die Retouren für eine der großen Schwächen des Zalando-Konzeptes halten, sieht Psychologe Grünewald sie als extrem geschicktes Instrument des Marketing und der Gewinnung von Kundinnen: Die Möglichkeit, Bestelltes kostenlos zurückschicken zu können, trifft nach seiner Überzeugung auf eine Stelle der Frauenpsyche, die diesem Angriff der unbegrenzten Möglichkeiten schutzlos ausgeliefert ist. Sie kommen nämlich dem Tagtraum sehr nahe, wie eine Prinzessin erwählt zu werden, wenn die Frau nur den richtigen Auftritt und die richtigen Schuhe hat: »Frauen träumen davon, in einer endlosen Menge an Schuhen zu schwelgen und sich immer neue zu probieren.« Dieses Phänomen hat es zwar zu guten, alten Katalog-Zeiten schon genauso gegeben, aber der Onlinehandel ermöglicht jetzt, diesen Traum viel einfacher und realistischer zu erfüllen. Denn wenn die Prinzessin nach ein paar Tagen wieder aufgewacht ist aus ihrem Traum, kann sie die irrational bestellten Schuhe ja wieder zurückschicken, ohne dass es sie etwas kostet. Sie muss nur aufpassen, dass sie es damit nicht übertreibt. Sonst nämlich reißen sie die Märchenprinzen von Zalando aus ihren Träumen, weil sie als notorische Massen-Retourniererin auf den Index geraten ist und nur noch gegen Vorkasse bekommt, was sie gern hätte. Die individuelle Retourenquote hält Zalando seinem Kunden ohnehin jedes Mal auf dem Bildschirm vor, wenn er auf der Seite einen Retourenschein ausdrucken will. Es braucht nicht einmal die Hilfe des Profi-Psychologen, um zu ahnen, dass hier über das schlechte Gewissen des Kunden die Retourenquote gedrückt werden soll.
Das übertriebene Auswahl-Bestellen ist
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