Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
laut Grünewald in erster Linie ein weibliches Problem: »Männer dagegen tragen ihr Lieblingspaar Schuhe oft, bis es hinüber ist. Und wenn niemand die Jungs bei der Hand nimmt, kaufen sie sich anschließend am liebsten dasselbe Paar noch einmal.« Kann es dann noch verwundern, dass sich in Zalandos Kundenkartei zu 75 Prozent weibliche Namen finden?
Gegenüber dem Kleiderkauf im Warenhaus kann das Onlineshopping generell noch einen weiteren Psycho-Vorteil ausspielen. Er kommt besonders bei Frauen und zunehmend Senioren zum Tragen, die mit ihrem Körper und ihren Maßen nicht zufrieden sind: Online hilft, Scham-Barrieren beim Anprobieren zu überwinden. »Eine Boutique oder die Damenoberbekleidungs-Abteilung eines Warenhauses ist eine Art öffentlicher Laufsteg. Und dabei steht die Verkäuferin für den kritischen Blick von außen«, erklärt Grünewald. Und weil die verunsicherte Kundin gern meine, im Minenspiel der Verkäuferin etwas Kritisches oder gar Verächtliches entdeckt zu haben, bekomme sie sofort Hemmungen, ein Teil anzuprobieren, das ihr möglichweise nicht stehen könnte. »Und dann ist es der Super-Gau, wenn die Frau nach einer Stunde des Probierens ohne nennenswerte Beute aus dem Einkauf-Dschungel kommt. Das gibt ein Gefühl der Frustration«, sagt der Diplom-Psychologe.
Beim Onlinekauf dagegen könne sich die Frau »im privaten Schutzraum öffnen« und testweise auch mal zwei Stunden lang in einem grenzwertigen Stück herumlaufen, das sie in Laden entweder gar nicht erst anprobiert oder noch in der Kabine sofort wieder ausgezogen hätte. Die Frau sei halt experimentierfreudiger, wenn sie sich fünf oder sechs Teile in die virtuelle Kabine zu Hause schicken lässt, als sie es täte, wenn die Verkäuferin im Laden ihr die Teile hereinreichen würde. Notfalls schickt sie alle sechs Teile zurück – und keiner hat’s gesehen »Beim Onlinekauf fällt die Hemmschwelle der öffentlichen Selbstpräsentation im Laden weg«, so Grünewald.
Seltsam nur: Laut Grünewald will die Zalando-Kundin dieser Kategorie zwar in der Abgeschiedenheit der eigenen Wohnung die Teile anprobieren. »Aber dann versichert sie sich mit der Präsentation des neuen Kleidungsstücks über ihr soziales Netzwerk wie Facebook, Teil einer weltweiten Modegemeinschaft zu sein. Und wenn Frauen sich per Facebook über Produkte und Erfahrungen austauschen, nährt das den Hype um Zalando zusätzlich. Dann ist es eine Marke, über die man spricht und über die jeder mitreden können will.«
Doch gerade diese Marke muss darauf achten, dass ihr die Kosten des Erfolges nicht aus dem Ruder laufen. »Wir arbeiten konsequent daran, Produktbilder und -informationen zu verbessern, um Fehlkäufe zu minimieren«, sagt Zalando-Geschäftsführer David Schneider (Gespräch 15.01.13, WamS). Und Benjamin Krümel, der Chefeinkäufer für Herrenschuhe, ergänzt: »Wenn die Größen bei einer Herstellerfirma grundsätzlich kleiner ausfallen als im Markt üblich, berücksichtigen wir das bei der Größenangabe auf der Seite. So bekommt der Kunde auch wirklich die passende Größe. Und wenn dieses Prozedere bei einer Marke zu kompliziert wird, dann nehmen wir sie einfach nicht ins Sortiment auf.«
»Natürlich arbeiten wir von allen Seiten und mit vielen Programmen gegen das Strukturproblem der hohen Retourenquoten an«, sagt eine andere Zalando-Managerin und konterkariert damit ein wenig die von ihren Chefs zur Schau getragene Gelassenheit bei dem Thema. Aber es ist nun einmal ein extrem wirksamer Hebel für die Veränderung der wichtigsten Zahl unter dem Strich in der Bilanz: Rücksendequote runter, Gewinn hoch – so einfach kann Wirtschaft sein! Die Managerin aber besteht darauf: »Wir haben keine höheren Retourenquoten als andere Versandhandelskonzerne!«
Tatsächlich wurde bei allen Onlinenanbietern die Präsentation der Ware auf dem Bildschirm in den vergangenen Jahren deutlich verbessert: Es gibt Fotos der von Models getragenen Textilien aus allen möglichen Blickwinkeln. »Bei Textilien und Schuhen wurde inzwischen eine Art sinnliche Ersatzdramaturgie entwickelt. Man kann das Produkt bewegen, drehen oder heranzoomen und es scheint, man könne den Artikel fühlen«, sagt Psychologe Grünewald. Den Nachteil der fehlenden Realitätspräsentation im Laden holen die Onliner mittels Technik immer mehr auf.
Der Technik-Händler
Zalandos Technik-Chef allerdings sieht noch weitere Verbesserungsmöglichkeiten: »Die Präsentation der Haptik auf dem
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