Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
Gedanken machen müssen« (Gespräch 15.01.13, WamS).
Als im Frühjahr 2013 eine Zeitung meldete, Zalando würde künftig auch Spielzeug verkaufen, setzte es ein heftiges Dementi. »Bullshit«, hieß es da am Telefon. Dabei wäre dieses Sortiment für das Internet gar nicht so unattraktiv. Laut Spielwarenverband BVS hat das Internet inzwischen einen nennenswerten Anteil am Gesamtumsatz erreicht.
Schon jetzt ist manchem, vor allem männlichen, Kunden das Angebot bei Zalando schon zu groß. Die Seite kommt ihnen trotz aller Suchfilter wie ein undurchdringlicher Produktdschungel vor. »Es ist schwierig, bei einem solch großen Angebot ein emotionales Erlebnis herüberzubringen. Das Ganze bekommt dann leicht einen etwas kaufhausigen Charakter, den vielleicht nicht jeder Kunde erleben möchte«, sagt Jürgen Michelberger.
Miteigentümer und Tengelmann-Boss Karl-Erivan Haub sieht darin allerdings überhaupt kein Problem: »Auswahl ist extrem wichtig im Onlinehandel: je mehr, desto besser! Der Kunde will den Eindruck haben, aus allem auswählen zu können, was es auf der Welt überhaupt gibt. Er wird es meistens nicht tun. Aber er weiß: Er könnte. Und das gefällt ihm.«
Ein besonders gutes Beispiel für die Vorteile des niemals endenden virtuellen Regalplatzes der Onlinehändler sind die Über- und Untergrößen: Schuhe der Größe 50 stellt sich kein Händler in größerer Auswahl in den Laden, weil es zwar eine Nachfrage, aber keine große Nachfrage gibt: Die großen Modelle nehmen im Regal nur Platz für jene Größen weg, die sich häufiger verkaufen. Genau das ist die Chance für Onlinehändler wie Zalando: Er kann das gesamte Angebot an Über- oder Untergrößen anbieten. Ohne sich mit Größe 50 selber Lagerplatz zu blockieren. Denn diese seltenen Bestellungen kann man ja dann beim Hersteller ordern, wenn man sie wirklich braucht. Dann muss der die Lagerkosten tragen. So kann Zalando zur zuverlässigen Einkaufsquelle für Kunden werden, die derlei Exoten-Größen brauchen und sie in den Schuhgeschäften draußen oft nicht finden.
Das Beispiel zeigt auch, das Zalando aus wirtschaftlichen Gründen genau wie jeder andere Händler vor allem auf »Renner« im Sortiment setzt und die »Penner« gar nicht erst hineinzunehmen versucht. Die Modelle müssen massenkompatibel und möglichst wenig retourenanfällig sein. Außerdem bergen zu ausgefallene Modelle das Risiko, dass sie häufig wieder zurückgeschickt werden. Benjamin Krümel, Chefeinkäufer für Herrenschuhe, versucht das gleich bei der Auswahl jener Paare zu bedenken, die ihm die Hersteller präsentieren. Die ganz schrillen Teile fallen wegen der Massenregel zumeist sofort raus: »Deshalb unterscheiden wir uns vielleicht von kleineren Shops, die eine bestimmte Zielgruppe, mit deren ganz eigener Mode trifft. Aber wir haben das größte Sortiment«, lacht der frühere Einkäufer der Traditionskette Görtz. Er muss halt Masse machen.
Tatsächlich hat sich Zalando den größten Bereich des europäischen Fashionmarktes als Jagdgebiet ausgesucht: »Mehr als die Hälfte der Modemarken in Deutschland befinden sich im Mittelpreissegment. Und genau hier arbeitet der Multi-Brand-Online-Store Zalando«, weiß Dieter Holzer, Chef von Tom Tailor. Auch seine Marken gehören zum Mittelpreissegment und werden über den Onlinehändler verkauft.
Die Zalando-Ware stammt weitgehend aus den Quellen, aus denen sich nahezu alle Textilhändler bedienen. Die Fabriken stehen vor allem in Asien, einige – vor allem für höherwertige Produkte – in der Türkei. China ist weiterhin weltweit der größte Textilfabrikant, gefolgt von Bangladesch. Auch Vietnam und Kambodscha werden für die westlichen Modekonzerne immer interessanter.
Damit muss sich Zalando denselben Fragen wie alle Hersteller und Händler stellen, die sich des allgegenwärtigen globalen Produktions- und Beschaffungssystems bedienen: Wie verhindert Ihr, dass Menschen und Umwelt bei der Produktion ausgebeutet oder gefährdet werden?
Da Zalando größtenteils Markenware verkauft, ist die Plattform zunächst auch nur einer von vielen Großkunden und verlässt sich damit zunächst einmal auf das Kontrollsystem der Markenhersteller. Sie sollen Zalando garantieren, dass die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, die die Waren im Lohnauftrag herstellen, in Ordnung sind. Dass das nicht immer der Fall ist, weil Fabrikbesitzer Teile der Produktionsaufträge an dubiose Hinterhof-Werkstätten weitergeben, zeigen zahlreiche
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