Schreib und stirb (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
dass es mir hier nicht mehr gefällt, aber ich habe ein gutes Angebot.“ Jetzt sah sie ihrer Chefin in die Augen. „Es tut mir Leid.“
Marina atmete tief ein und langsam wieder aus. „Mit höherem Lohn und besseren Bedingungen?“ fragte sie und schaute Nicole forschend an. „Vielleicht kann ich da etwas machen.“
„Nein, darum geht es nicht.“
„Was ist es dann? Bin ich eine so schlechte Chefin? Komm, machs nicht so spannend, erzähl.“
„Meine beste Freundin ist nach fünf Jahren im Ausland zurückgekommen und will mit mir ein Kosmetikinstitut eröffnen.“ Jetzt war es draussen, und Marina konnte die Erleichterung in Nicoles Stimme hören.
„Kathrin und ich lernten uns damals an der Fachschule kennen, sie machte die Lehre in Schinznach-Bad, in der Reha-Klinik, weisst du. Mit fünfundzwanzig brauchte sie eine Veränderung. Sie wollte Sprachen lernen und ging deshalb zuerst auf ein Kreuzfahrtschiff, dann arbeitete sie in verschiedenen Luxushotels auf den Malediven, in Kalifornien und an der Côte d'Azur. Jetzt hat sie genug gesehen von der grossen weiten Welt und will sich hier in Aarau niederlassen. Sie hat eine Zusatzausbildung als Maskenbildnerin gemacht und will auch für Theater- und Filmproduktionen arbeiten, sie hat bereits einen Auftrag für die Oper auf Schloss Hallwyl.“
„Habt ihr einen Businessplan? Ich will deine Begeisterung nicht dämpfen, aber eine Neueröffnung ist anspruchsvoll, die Konkurrenz ist gross.“ Marina erinnerte sich an ihre eigenen Anfangszeiten, an die schlaflosen Nächte, an die Furcht vor dem Scheitern.
„Ja, klar haben wir einen Businessplan. Aber du hast Recht, die Mieten hier sind hoch, und die Banken sind nicht sehr interessiert daran, uns einen Investitions- und Geschäftskredit zu gewähren. Eine Grossbank hat direkt abgelehnt, eine andere verlangt Zinsen jenseits von Gut und Böse. Aber wir werden es trotzdem schaffen, irgend einer dieser Banker muss uns vertrauen!“ Dann kehrte sie plötzlich in die Gegenwart zurück und fragte: „Und du bist nicht sauer?“
„Ein bisschen schon, denn es bedeutet, dass du die meisten deiner Kundinnen mitnehmen wirst, das ist in unserer Branche immer so.“ Marina überlegte fieberhaft. „Anderseits ist es vielleicht auch eine Chance und ich kann euch behilflich sein. Sag deiner Freundin, ich möchte sie kennenlernen, und wenn ich darf, möchte ich auch einen Blick in eure Finanzplanung werfen. Dann sehen wir weiter.“
Das ist ja sehr interessant, dachte Angela, diese Parallelen. Die Hauptperson in Guido Bärs Roman war ein Künstler, der sich intensiv um Förderbeiträge bewarb, aber immer leer ausging. Die Ablehnung wurde damit begründet, dass sein Bildhauer-Atelier in Basel war und er im Aargau nur als Weinbauer arbeitete; man riet ihm, bei einem der zahlreichen Mäzene in Basel vorstellig zu werden oder sich auf die Önologie zu konzentrieren. Einer der Drahtzieher im Kampf um das Geld des Kantons Aargau war der Präsident des Kuratoriums; Guido Bär zeichnete die Figur als allmächtig, selbstherrlich und parteiisch.
Angela blätterte zurück zur ersten Seite des Buches. Der Roman war vor sieben Jahren erschienen, und es war kaum denkbar, dass Bär es gewagt hatte, den realen Menschen in der realen Position zu porträtieren. Trotzdem musste sie Nick morgen dieses Kapitel zeigen oder vorlesen. Mal angenommen, Bär habe wirklich von Ottenfels im Visier gehabt, und dieser habe das Buch gelesen und sich selbst erkannt. Er hätte kaum sieben Jahre gewartet mit seiner Rache, aber man wusste nie.
Sie zog die Wolldecke enger um sich und las gebannt weiter.
6 Mittwoch
„Er kommt um zehn Uhr zu uns. Ich habe ihm angeboten, dass wir ihn zuhause besuchen, aber das wollte er nicht.“ Angela warf einen Blick in ihre Notizen. „Anton Scheidegger, Jahrgang vierundsechzig, Germanist mit Uni-Abschluss. Finanzdaten habe ich noch nicht, er ist bei keiner der lokalen Banken Kunde. Er wohnt am Graben, die Adresse ist gut, aber wie ich heute früh gesehen habe, handelt es sich um eine Hinterhofwohnung. Der Eingang liegt in einem dunklen und total verschmutzten, stinkenden Durchgang, es ist also vermutlich keine so tolle Wohnung. Die Kollegen von der Stadtreinigung waren da; sie sagen, der Fussweg sei eine Abkürzung zwischen zwei Kneipen und als öffentliche Toilette bekannt, man habe dort immer viel zu tun. Ein Auto hat er nicht, zumindest ist keins auf ihn zugelassen. Sein Name taucht sehr oft im Zusammenhang mit
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