Schreib und stirb (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
kulturellen Veranstaltungen auf, er scheint überall etwas zu sagen zu haben, auch in der Theaterszene zum Beispiel. Es gibt Hunderte von Einträgen im Netz, und ich habe es noch nicht geschafft, sie alle zu sichten. Wie wir wissen, leitete er letztes Jahr zwei Herzberg-Seminare, bei einem dritten liess er sich vertreten. Seine Hauptarbeit aber ist das Schreiben von Gedichten und Novellen. Er veröffentlicht fast jedes Jahr etwas Neues, das von den Feuilletons jeweils begeistert besprochen wird, nicht nur im Aargau. Er liest meistens an den Solothurner Literaturtagen, und viele Buchhandlungen veranstalten Lesungen mit ihm.“ Sie hielt ein schmales und dünnes Buch mit königsblauem Leineneinband in die Höhe. „Das ist sein neuster Gedichtband, den habe ich bei meinem Vater in der Bibliothek gefunden. Es sind melancholische, fast schon depressive Gedichte über den Herbst, voll von Nebel, Novembergrau und einer grossen Leere; mein Vater mag sie sehr. Ich finde, das Buch sollte auf dem Tisch liegen, wenn wir ihn befragen.“
„Wie reagierte er auf deinen Anruf?“ Nick war gespannt auf die Antwort, denn es gab verschiedene Möglichkeiten.
„Erstaunt und überrascht, würde ich sagen.“ Angela hatte Anton Scheidegger um ein Gespräch gebeten, weil er Guido Bär sicher von den Herzberg-Seminaren gekannt habe. „Er fragte nicht, woher ich seine Nummer habe, aber er wollte wissen, wie wir gerade auf ihn kämen, so gut habe er Bär nun auch wieder nicht gekannt. Routine, sagte ich, wir müssten jeden Kontakt verfolgen, was er ohne weitere Einwände akzeptierte. Er machte einen freundlichen und zuvorkommenden Eindruck, ich hatte nicht das Gefühl, er stehe unter Druck. Mal sehen, wie er sich heute präsentiert.“
„Gut“, sagte Nick, „ihr beide führt das Gespräch. Es ist kein Verhör, sondern eine Zeugenbefragung, seid nett zu ihm. Druck aufsetzen dürft ihr erst dann, wenn er offensichtlich lügt. Ich bleibe im Büro, ihr könnt mich holen wenn ihr mich braucht oder ich komme selbst, wenn ich es für nötig halte. Alles klar?“
„Ist das jetzt eine Art Prüfung oder was?“ maulte Peter, der sich lieber um Anderes gekümmert hätte, zum Beispiel um den Tierarzt. „Sonst macht er doch solche Sachen lieber selber.“
„Vielleicht will er ja, dass du dich mit einem anderen Verdächtigen als mit Beniak beschäftigst“, gab seine Kollegin schlagfertig zurück und stiess die Türe auf, „setz dich, ich hole Scheidegger.“
Das Besprechungszimmer war mit Glaswänden abgetrennt, und Angela konnte sehen, wie Nick zuschaute, als sie den elegant gekleideten, schmächtigen Mann hineinführte. Seine Haut war bleich und die Haare hellblond, die moderne schwarze Hornbrille verstärkte den Eindruck eines Intellektuellen, der sich nie der Sonne aussetzte.
„Herr Scheidegger, ich nehme an, dass Anton Ihr Taufname und Anatole eine Art Pseudonym ist, richtig?“
„Ja natürlich, Herr Pfister. Toni Scheidegger klingt nach Schwingerkönig oder Skirennfahrer, nicht nach einem, der ausschliesslich geistige Arbeit leistet.“ Er lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Deshalb wählte ich schon im zarten Alter von sechzehn Jahren einen Vornamen, der mit mehr Sensitivität assoziiert wird.“
„Ach, Sensitivität, sehr schön.“ Peter konnte sich den ironischen Unterton nicht verkneifen, und Scheidegger hob eine Augenbraue. „Dann sagen Sie uns doch, wann Sie Herrn Bär zum letzten Mal gesehen haben.“
„Das muss vor ein paar Monaten gewesen sein, warten Sie, ich denke nach – ja, beim jährlichen Dozententreffen auf dem Herzberg. Herr Direktor Wiedmer lädt uns alle regelmässig im Januar zu einem Gedankenaustausch ein, mit anschliessendem Dîner. Seither habe ich Guido nicht mehr gesehen.“
„Und gesprochen, telefonisch meine ich?“ Peter lehnte sich nach vorn.
„Vor ein paar Tagen, ja, da rief ich ihn an, um die Gestaltung unserer Seminare mit ihm abzusprechen; wir wollen ja möglichst identische inhaltliche Schwerpunkte vermitteln.“
„Wann war das?“
„Ende der letzten Woche, Donnerstag oder Freitag glaube ich. Er hatte jedenfalls gerade keine Zeit, und wir vereinbarten ein Treffen für Montag, wozu es ja nun leider nicht mehr gekommen ist.“ Er schüttelte den Kopf und verschränkte die Hände. „Der arme Guido.“
„Sie haben Guido Bär am Freitagabend um genau achtzehn Uhr zwanzig angerufen, etwa drei Stunden vor seinem Tod. Sie sind möglicherweise der letzte Mensch,
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