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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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einer telefonischen Nachfrage in der Botschaft sagte man mir, das Geld sei für Tantiemen. (Die Sowjetunion brachte immer noch Raubdrucke meiner Bücher heraus und zahlte nie Tantiemen – man musste dorthin reisen und das Geld an Ort und Stelle ausgeben. Nicht wenige Autoren taten das, machten Urlaub am Schwarzen Meer, lebten wie die Radschas – oder die Kommissare. Das habe ich nie getan. Meine Einstellung war, dass die Verleger den Autoren zahlen sollten, was ihnen zustand, und nicht ihre Zuflucht zu emotionaler Erpressung nehmen sollten: »Du kennst unsere großen Probleme, wir sind sicher, du wirst uns liebend gern helfen, indem du herkommst, dein Geld in Moskau in Empfang nimmst und es bei uns ausgibst.«) Eine schriftliche Bestätigung, dass dieses Geld für Tantiemen war, habe ich nie bekommen. Als ich fragte, für welche Zeitung ich schreiben würde, sagten sie, ich solle die Artikel an die Botschaft schicken, sie würden dann eine Zeitung finden.
    Und nun meine wirklich unverzeihliche Naivität. Ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass meine Artikel »kreativ« bearbeitet werden würden, um die Situation in Zentralafrika noch schlimmer zu machen, als sie ohnehin schon war.
    Diese kleine Geschichte illustriert, weshalb die Leute, die es mit sowjetischen Funktionären zu tun hatten, samt und sonders Nervenzusammenbrüche erlitten oder ihre Arbeit aufgeben mussten. Zum einen bekam ich, obwohl die Botschaft es wusste, dass meine Reise davon abhing, das Geld erst in der letzten Minute – Leute, die Reisen in die Sowjetunion organisierten, erhielten die Visa erst am Abend vor oder sogar am Morgen der Abreise selbst, was ein Maximum an Nervosität bei allen Beteiligten garantierte. Zum anderen wurde mir nie offiziell mitgeteilt, für welches meiner Bücher diese Tantiemen gezahlt wurden. Schriftsteller wurden nie darüber informiert, wenn man ihre Bücher in der Sowjetunion publizierte. Es kam vor, dass jemand von einer Reise zurückkehrte und sagte: »Ich habe dein Buch in den Läden gesehen« – wovon einem nichts bekannt war. Noch heute weiß ich nicht, welche meiner Romane und welche Geschichten dort veröffentlicht worden sind. Auch als ich nach der Reise meine Artikel einschickte (dieselben, die in der
Tribune
und in linksgerichteten Zeitungen auf dem europäischen Kontinent erschienen sind), erfuhr ich nicht, welche sowjetischen Zeitungen sie brachten.
    Inzwischen war etwas anderes passiert. Die KPdSU hielt ihren Zwanzigsten Parteitag ab. Kein junger Mensch wird heute etwas mit dem Ereignis des »Zwanzigsten Parteitags von 1956 « anzufangen wissen, aber jeder, nicht nur bei den Linken, der sich zu jener Zeit für Politik interessierte, wird sich erinnern, dass dies der Anlass war, den Chruschtschow nutzte, um öffentlich mit Stalins Verbrechen abzurechnen. Die Wirkung, die diese »Enthüllungen« auf die Getreuen hatte, war so, als wären die kommunistischen Parteien der Welt von einer Bombe zerrissen worden. Überall auf der Welt gab es Leute (und von denen sind noch einige übrig), die wussten, dass alles, was über die Sowjetunion gesagt worden war, eine Lüge war, eine Erfindung der kapitalistischen Presse, und dass die Sowjetunion (natürlich waren »Fehler« gemacht worden) unter der Führung der großen und guten Nachfolger des großen Stalin die Zukunft der Welt darstellte. Genossen weigerten sich entrüstet, den »Enthüllungen« Glauben zu schenken, sagten, Chruschtschow sei ein Verräter, sei von der CIA gekauft worden oder übertreibe, oder sie sagten, wenn das, was Chruschtschow sage, stimme, dann sei jemand anders oder eine Clique von Verschwörern für die Verbrechen verantwortlich, Stalin habe nie etwas von ihnen gewusst.
    Dies alles in den neunziger Jahren zu schreiben ist nicht einfach. Verschwunden ist – ich hoffe, für immer, aber man sollte sich dessen nicht zu sicher sein – das Klima, das all diese Ereignisse ermöglichte. Ich schreibe über soziale Massenpsychopathologie. Ich war ein Teil von ihr. Aber die Dinge lagen nicht so eindeutig, wie sich das anhört: Die Umrisse waren verschwommen. Wie Arthur Koestler einmal sagte, hatte jeder Kommunist einen privaten Bestand persönlicher Überzeugungen. Ich gehörte zu den wenigen Leuten, die aus entgegengesetzten Gründen vom Zwanzigsten Parteitag enttäuscht waren. Diese wenigen Leute wussten, dass Stalins Verbrechen tausendmal schlimmer gewesen waren, als Chruschtschow zugab. Weshalb sagte er nicht die volle

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