Schritte im Schatten (German Edition)
Parallelen. Sie ist fassungslos, kann es nicht begreifen, fühlt sich betrogen, ist schockiert. »Warum, aber
warum
?«
»Ich wollte nicht, dass du weißt, was ich tue und wo ich wohne«, sagt dieser kurz vor der Heirat stehende Mann, vermutlich mit Plänen für ein gemeinsames Leben, und er droht ihr tatsächlich, sie wegen des Bruchs ihres Versprechens zu verklagen. Dies ist gewiss das perfekteste Beispiel für pures Lügen, das sich finden lässt.
Monatelang brodelte die Kampagne gegen Canon Collins vor sich hin, ein widerwärtiges Gebräu, Gerüchte wurden in die Welt gesetzt, Verleumdungen ausgestreut. Das »Komitee der Hundert« schuf sich einen überaus befriedigenden schlechten Ruf.
Ich ging zu einer Versammlung im Haus von Canon Collins, bei der die Taktiken des Komitees diskutiert wurden. Ich sage nicht, dass dort niemand war, der begriff, dass wir es mit stalinistischen Taktiken unter anderem Namen zu tun hatten, denn wie in jeder Versammlung von an Politik interessierten Leuten musste es auch hier einige geben, die in der Partei gewesen waren oder ihr nahegestanden hatten, wahrscheinlich sogar die Mehrheit. Aber ich begegnete dort einer Art verwirrter und hilfloser Unschuld. Und vielleicht war das eine durchaus verständliche Reaktion, denn es gab nicht viel, was man an ihrer Stelle hätte tun können. Das Team von Canon Collins spielte nach ordentlichen demokratischen Regeln, Fair Play, ehrliche Berichterstattung und so weiter, aber das »Komitee der Hundert« entsprang einer andersgearteten Tradition und spielte nach »anderen« Regeln. Die Alte Garde war bestürzt, denn währenddessen hatten die Massen in der Bewegung für atomare Abrüstung keine Ahnung von dem, was vorging, aber das würde nicht mehr lange so bleiben.
Ich wurde von Mervyn Jones angerufen, der damals für den
Observer
arbeitete. Ralph Schoenman hatte Bertrand Russell überredet, eine – von ihm aufgesetzte – Erklärung zu unterschreiben, die am nächsten Sonntag im
Observer
erscheinen sollte und in der Canon Collins jeder nur erdenklichen Gemeinheit beschuldigt wurde. Durchaus möglich, dass Russell sie nie zu Gesicht bekommen hatte. Es war bekannt, dass er über sehr vieles im Dunkeln gelassen wurde, und man glaubte, dass auch Lady Russell nicht informiert wurde. Die andere Möglichkeit war, dass Ralph Schoenman und Lady Russell Bertrand Russell gemeinsam im Dunkeln ließen, denn erstaunlicherweise bewunderte sie Ralph gleichfalls.
Inzwischen arbeiteten Canon Collins und seine Anhänger an einer Erklärung, in der die Aktivitäten von Bertrand Russell – oder vielmehr die von Ralph Schoenman – beschrieben wurden, aber in einem wesentlich kühleren Stil und auf Fakten basierend.
Mervyn Jones fragte mich, ob ich nach Nordwales fahren, Bertrand Russell aufsuchen und ihn bitten würde, diese Erklärung nicht zu veröffentlichen. Was nämlich unbedingt vermieden werden musste, war eine öffentliche Konfrontation zwischen den beiden Stars der Bewegung, denn – und das war der entscheidende Punkt – die Leute, die sich so leidenschaftlich nach atomarer Abrüstung sehnten, darunter etliche sehr junge, interessierten sich überhaupt nicht für diese Stars, diese Persönlichkeiten, diese Primadonnen. Dies war eine demokratische Bewegung, und sie würden empört sein, wenn sie erfuhren, dass die Anführer in persönliche Streitereien verstrickt waren. Zumindest einige von ihnen – oder ihre Eltern – hatten die grauenhaften Machtkämpfe des Kommunismus gerade hinter sich und würden sagen: »Oh, nicht
schon wieder
«, und der Sache desillusioniert den Rücken kehren. Denn das wunderbarste an diesen neuen, zumeist jugendlichen Massen war die Tatsache, dass an die Stelle von Zynismus und Desillusionierung ein frisches, brennendes Interesse und ein Glaube an sich selbst getreten waren. Zu einer Auseinandersetzung in der Presse durfte es einfach nicht kommen. Aber das Problem war, dass die beiden Kontrahenten und ihre Anhänger die Menschen längst vergessen hatten, denn genau das passiert, wenn man sich Tag für Tag, sogar Minute für Minute nur mit den Missetaten seiner Gegner beschäftigt.
In jener Zeit war es einfacher als heute, mir zu schmeicheln. Und sogar jetzt noch hält sich mein Missfallen über mich in Grenzen: Ich machte mir echte und leidenschaftliche Sorgen um all diese jugendlichen Unschuldigen, die heute im mittleren Alter sein müssen und ihre Illusionen in Sachen Politik längst verloren haben. Aber
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