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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Demos – der Kern der Getreuen mit ihren Kindern. Aber dieser Marsch hatte etwas Besonderes an sich, und überall auf der Route schlossen sich weitere Leute an. An jeder U-Bahn-Station standen mehr, Leute sprangen aus Bussen, um sich anzuschließen, und am Ende waren es Tausende. Nachrichten über den Marsch erreichten die Zeitungen und das Fernsehen. Und so wuchs und wuchs der Marsch, und die Organisatoren waren völlig überrascht. Ganz zum Schluss, als wir in Aldermaston einzogen, stand das gesamte Komitee der Kommunistischen Partei an beiden Seiten der Straße und schaute zu. Sie hatten sich verkalkuliert: Die atomare Abrüstung stand nicht auf ihrem Programm, aber hier waren diese Unmengen von Bürgern. An diesem Tag fiel eine Menge unschöner Bemerkungen über die Genossen, die, wie wir sagten, im Begriff waren, die »Linie« den Ereignissen anzupassen und damit ihre Schwäche endgültig unter Beweis zu stellen.
    Dieser erste Marsch zog Leute aus ganz Großbritannien an, die Märsche in den folgenden Jahren auch Leute vom europäischen Kontinent und aus Amerika. Sie vereinigten das gesamte Spektrum der Linken und weit darüber hinaus. Wenn man eine Stunde lang dastand und die Marschierer beobachtete, dann bildeten die Transparente eine Karte des sozialistischen Großbritannien. Es gab sogar Gruppen von Konservativen. Vielfalt, das war das Motto der Märsche. Und viele nahmen nicht in erster Linie wegen »der Bombe« an ihnen teil, sondern aus einer allgemeinen Sorge wegen der Zustände im Land. Mit jedem Marsch wurden die Marschierer jünger, und am Ende hätte man glauben können, dies wäre ein neuer Kinderkreuzzug. Die Teilnahme an einem Aldermaston-Marsch wurde zum Äquivalent eines Initiationsrituals; erst kürzlich traf ich eine Frau, die sagte: »Meine Mutter ließ mich nicht mitmachen, und das werde ich ihr
nie
verzeihen.« Aber bei den ersten paar Märschen gab es Leute jeden Alters, jeder Größe, Sorte und Farbe, und es war eine fröhliche, optimistische und oft sehr lustige Menge. Um nicht zu sagen, eine respektlose. Die Songs von Tom Lehrer waren ebenso die Hymnen dieser Märsche wie
We Shall Overcome, Down by the River Side
und
Jerusalem
. Christopher Logue hatte ein eigenes Transparent, auf dem »Esst mehr« stand, was ihm satirische Beifallsrufe einbrachte. John Wain, der von dem Marsch überhaupt nichts hielt, stand auf einer Brücke, die die Route überspannte, und schaute herab, und als Freunde zu ihm hochwinkten und riefen: »Komm herunter und schließ dich an«, schüttelte er tragisch den Kopf. Kenneth Tynan marschierte mit, zog Schüler an, und als wir am Mittag für ein Picknick haltmachten, scharten sich kleine Grüppchen von Theaterleuten um ihn, um seinen witzigen Bemerkungen zuzuhören. Oft war eine ältere Person von jüngeren umgeben und hielt so eine Art Seminar über Politik, Bürgerrechte, Geschichte, Literatur oder Film ab. Ich sah in diesen Märschen so etwas wie die wandernde Erweiterung einer Universität oder einer Schulstunde.
    Das herzzerreißendste und beglückendste aller Transparente war ein ganz kleines, das an einem zerbrechlichen Rollstuhl befestigt war, den eine hübsche junge Frau schob, das tapfere Bemühen eines Amateurs, tief unten zwischen den großen Transparenten der Gewerkschaften, der Labour Party und Atomare-Abrüstung-Transparenten: »Clydeside sagt NEIN « … »Cornwall sagt NEIN « … »Greenwich sagt NEIN « … »Ächtet die Bombe«, alles in Schwarz auf Weiß, aber auf ihrem Transparent stand: »Caroline sagt NEIN «. Wenn ich ein Bild heraufbeschwören müsste, das der Inbegriff all dieser Märsche ist, dann würde es dieses Bild der jungen Frau mit ihrem Transparent sein. Oder vielleicht Wayland Young und seine Frau, umgeben von ihren großen und kleinen Kindern, in Karren und Kinderwagen, auf seinem Rücken und auf ihren Armen.
    Auf einem der Märsche begrüßte Randolph Churchill die Marschierer mit einem aufziehbaren Grammofon, auf dem er patriotische Musik abspielte, aber der Lärm war so groß, dass er für einen Sympathisanten gehalten und dann, als seine wütenden Gesten seine Position klargemacht hatten, aufgefordert wurde, sich uns anzuschließen und seine Ansichten zu ändern.
    Journalisten schlossen sich den Märschen an, um Zitate aufzuschnappen, die die ganze Sache lächerlich machten.
    Es wurde geschätzt, dass, als nach dem ersten Jahr die Märsche auf dem Trafalgar Square endeten, ungefähr eine halbe Million Menschen

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