Schritte im Schatten (German Edition)
Frühstück zu versorgen. Lady Russell und er eskortierten uns zu unserem Schlafzimmer, und die Atmosphäre war so, dass wir nicht überrascht gewesen wären, wenn man uns eingeschlossen hätte. Es war neun Uhr.
Die arme Janet Hase hatte dieses Ungemach nicht verdient; schließlich hatte sie sich aus Herzensgüte erboten, mich zu fahren. Sie war, da bin ich sicher, von dieser ganzen Sache ziemlich deprimiert, und wenn diese scheußliche kleine Reise zu ihrem Entschluss beigetragen hatte, Großbritannien so schnell wie möglich wieder zu verlassen, dann kann ich ihr daraus keinen Vorwurf machen.
Am nächsten Tag krochen wir nach London zurück, und ich teilte Mervyn Jones mit, dass mein Versuch gescheitert war. Inzwischen war ich wütend auf mich selbst, dass ich ihn überhaupt unternommen hatte, denn ich hatte nicht das Geringste erreicht.
Am nächsten Sonntag sollte der
Observer
mit den beiden Erklärungen erscheinen – die, in der Bertrand Russell Canon Collins attackierte, und die, in der Canon Collins Russell attackierte. So jedenfalls würden es die unschuldigen Massen sehen. Aber dazu kam es nicht. Die Erklärungen verschwanden, gingen verloren. Und so haben die Unschuldigen nie etwas von all diesen schmutzigen Vorgängen und dem Streit zwischen ihren Anführern erfahren. Aber der Abscheu, der immer noch in mir steckt, ist so stark, dass ich sogar heute noch nervös werde und fürchte, alte schlafende Hunde zu wecken, wenn ich sage, dass Canon Collins meiner Meinung nach ein Mann war, an dem mehr gesündigt wurde, als er selbst sündigte, und dass der Fehler, den seine Seite machte, nicht in Doppelzüngigkeit und schmutzigen Tricks, sondern – ganz einfach – in der Tatsache bestand, dass sie nicht verstand, wie wenig sich das Fußvolk für die Anführer und die Führung interessierte. Er tat mir leid.
Das »Komitee der Hundert« hatte regen Zulauf, zog Leute an, die »direkte Aktionen« liebten oder, anders formuliert, Konfrontationen mit der Polizei suchten. Das hatte zur Folge, dass die Dachorganisation, die »Kampagne für atomare Abrüstung«, geschwächt wurde. Die Aldermaston-Märsche gingen weiter, wuchsen, was die Zahl der Teilnehmer anbelangt, wurden unkontrollierbar und schwanden dann schließlich dahin. Aber obwohl es einfach ist, zu sagen, dass eine große Volksbewegung aus diesem oder jenem Grund schwächer wird und untergeht, glaube ich nicht, dass wir die Dynamik wirklich verstehen, begreifen, weshalb eine Massenbewegung wächst, Zulauf hat und dann dahinschwindet. Wenn man zu Leuten, die das »Komitee der Hundert« unterstützt haben, sagt, man glaube, es hätte einen schlechten Einfluss gehabt, dann lautet die Antwort oft: »Aber es hat die Proteste und Märsche gegen den Vietnam-Krieg in Amerika hervorgebracht.« Es trifft zu, dass das eine das andere beeinflusst hat, aber zu behaupten, die Amerikaner wären nicht imstande, ihre eigenen Antikriegsbewegungen hervorzubringen, erscheint mir absurd.
Manchmal treffe ich Leute aus den Tagen der »direkten Aktionen« und frage sie, was sie von Ralph Schoenman hielten. Einige sagen, sie hätten ihn bewundert, andere, dass er ihnen Unbehagen einflöße. Aufs Ganze gesehen, sind die Bewunderer Leute, für die er die erste Begegnung mit Politik darstellte. Doch der Mann war eindeutig verrückt; oder wenn nicht er selbst, dann sein Verhalten. Ein wichtiger Unterschied, den man in der Politik machen muss, wenn man es mit so »erleuchteten« Charakteren zu tun hat. [31] Das Problem ist, dass Leute, die tatsächlich total verrückt sind, in politischen oder religiösen Kontexten keineswegs als verrückt angesehen werden. Wenn dieselben Leute sich in einem anderen gesellschaftlichen Zusammenhang befänden, würde man es auf den ersten Blick bemerken. Aber einige Leute, die verrückt sind, zieht es zu politischen oder religiösen Bewegungen hin, wo ihre Verrücktheit unbemerkt bleibt, und ob sie dies bewusst oder unbewusst tun, spielt keine Rolle. Manche Leute wissen genau, was sie tun – Hitler, Stalin. Andere stellen, wie ich glaube, fest, dass tief gründende Neigungen und Tendenzen, derer sie sich kaum bewusst sind, in einer verständnisvollen Atmosphäre aufblühen, und sind darüber sogar entsetzt; ich bin ziemlich sicher, dass viele der jungen Leute, die sich aus idealistischen Gründen dem »Komitee der Hundert« anschlossen, später bestürzt waren über das, was sie fanden – in sich selbst ebenso wie in ihren Gegenübern. Wir haben
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