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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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damals schien es mir wichtig, ihnen ihre Unschuld so lange wie möglich zu erhalten. Ich sagte Mervyn Jones, ich würde fahren. Ich hatte keinen Wagen – sollte noch vier weitere Jahre keinen haben. Eine junge Frau aus Australien, Janet Hase, die zur Gruppe um die
New Left Review
gehörte, sagte, sie werde mich hinfahren. Es war keine angenehme Fahrt. Sie hatte einen kleinen Wagen, kannte die Route nicht, und es regnete die ganze Zeit diesen grauen, stetigen, kalten Regen, mit dem England einen so traurig machen kann. Die Scheibenwischer schoben ständig Massen schmutzigen kalten Wassers auf der Windschutzscheibe hin und her, und wir beiden »Colonials« waren in der Stimmung, in der man sich fragt, was das hier überhaupt sollte. Die großen, schnellen Straßen waren noch nicht gebaut. Janet beklagte sich die ganze Zeit, dass die Männer in dieser neuen revolutionären Bewegung die Frauen wie Dienstmädchen behandelten und dass sie das restlos satthabe. Sie hatte
Das goldene Notizbuch
für die
New Left Review
besprechen wollen, aber man hatte es ihr nicht erlaubt. Dort interessierten sie sich nur für Theorien und akademische Ideen.
    Wir verirrten uns mehrere Male. Es war schon spät, als wir Nordwales und Plas Penrhyn erreichten – Stunden später, als wir eigentlich hatten ankommen wollen. Bertrand Russell und Lady Russell empfingen uns steif und förmlich. Natürlich hatten sie mit Schoenman gesprochen, und der hatte gesagt, dass sie uns nicht trauen dürften. Russell fing sofort damit an, gehässige Bemerkungen darüber zu machen, wie er die Strecke von London hierher in zwei Stunden hinter sich brachte, und zeigte sich überrascht, wie unfähig wir waren. Wir gingen ins Wohnzimmer. Lady Russell beobachtete uns, als wären wir Attentäter oder Giftmörder. Russell glich einem tatkräftigen alten Gnom. Dieses alte Streitross, das tausend politische Schlachten hinter sich hatte, erkannte in mir ein ebensolches, und wir verfielen sofort in eine Art von scherzhaft polemischem Stil. Schließlich war meine Aufgabe eine ziemlich unmögliche. Das Einzige, was ich nicht sagen konnte, war: »Sie werden von einem skrupellosen jungen Politiker ausgenutzt, der jedermann in London erzählt, dass Sie genau das tun, was er Ihnen sagt.« Ich konnte nicht sagen: »Man verschweigt Ihnen die Wahrheit über das, was vorgeht.« Und ich wusste nicht, wo Lady Russell bei alledem stand. Ich konnte nicht sagen: »Es gibt Leute, die glauben, dass Ihre Frau (die uns mit einem zornigen Lächeln gegenübersaß) mit Schoenman konspiriert, um Sie hinters Licht zu führen, aber andere sind der Ansicht, dass sie gleichfalls manipuliert wird.« Ich versuchte, einen Scherz daraus zu machen, indem ich sagte, dass all diese jungen Leute irgendwo dort draußen, in all den Gruppen für einseitige atomare Abrüstung, kaum etwas von Canon Collins oder ihm selbst wüssten und dass sie voll törichtem Idealismus steckten, genau wie wir, als wir noch jung und in politischen Dingen unerfahren gewesen seien, und es würde ihnen nicht guttun, von all diesen Kämpfen zu erfahren, die zwischen dem »Komitee der Hundert« und seiner Dachorganisation ausgetragen würden. Ich wagte zu sagen, dass sowohl er als auch Canon Collins die Stimmung, den Ton oder den Stil dieser neuen Bewegung völlig missverstünden, der es völlig gleichgültig sei, wer die Sache leitete oder wer die Anführer seien.
    Und nun gelangte ich zum entscheidenden Punkt: Wenn seine – Bertrand Russells – Erklärung mit den Anschuldigungen gegen Canon Collins am nächsten Sonntag im
Observer
herauskäme, dann würde sie großen Schaden anrichten, sie würde Hunderttausenden von Anhängern der »Kampagne für atomare Abrüstung«, zumeist sehr jungen, sämtlicher Illusionen berauben. Ich sei zu ihm gekommen, um ihn zu bitten, sie zurückzuziehen, dafür zu sorgen, dass sie nicht im
Observer
stehen würde. Sofort wurde Russell sehr grob und sagte, ich sei völlig falsch informiert, es gebe keine Erklärung, er wisse nichts von irgendeiner Erklärung. Auch Lady Russell sagte, es sei keine Erklärung geplant oder aufgesetzt worden, aber ihrer Meinung nach solle Canon Collins irgendwann als das bloßgestellt werden, was er sei.
    Während dies ablief, wurden uns Sandwiches und Kaffee serviert. Russell sagte, er sehe keinen Sinn darin, diese Diskussion fortzusetzen, und er sei sicher, dass wir müde seien. Er werde uns am Morgen nicht sehen, aber die Haushälterin anweisen, uns mit

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