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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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die giftigen Miasmen jener Zeit vergessen – genauso, wie wir den kraftvollen Idealismus vergessen haben. Unsere Zeit ist zufällig ein stilles, halbwegs unparteiisches, verhältnismäßig vernünftiges Interregnum in der Geschichte der Menschheit. Wenn man die fiebrige Atmosphäre und die Anschuldigungen beurteilen will, die im »Komitee der Hundert« und um es herum damals wie Pilze aus dem Boden schossen, müsste man diese Zeit wieder zum Leben erwecken: unmöglich.
    Wie lässt sich die Tatsache erklären, dass Bertrand Russell, ein Mann, der sich sein ganzes Leben mit politischen Dingen beschäftigte, beginnend mit seinem tapferen Kampf gegen den Militarismus des Ersten Weltkriegs, ein erfahrener Mann, der hundert verschiedene Arten von Politikern kennengelernt hatte, Ralph Schoenman nicht durchschaute? Und sich weigerte, die Wahrheit zu sehen, obwohl andere Leute ihn warnten, ihm genau sagten, was vor sich ging und wie er benutzt wurde? Russell wollte einfach nicht zuhören, jedenfalls lange Zeit nicht, und danach war es zu spät. Die ganze Zeit fragten sich die Leute: Wird Ralph Schoenman von der CIA bezahlt? Vom KGB ? Man sah doch den Schaden, den er anrichtete. Heute kommt einem das ziemlich verrückt vor, aber damals war es das nicht. Fast jedermann konnte beschuldigt werden, auf der Lohnliste der CIA oder des KGB zu stehen, und natürlich passierte das den unmöglichsten Leuten.
    Das Alter bringt alle möglichen Risiken und Gefahren mit sich, aber diejenige, die ich für die schlimmste halte, wird kaum registriert. Sie tritt ein, wenn ein alter Mensch mit einem Abklatsch seines jugendlichen Selbst konfrontiert wird, einem höhnischen Schatten, einem Echo einstiger Möglichkeiten, und seine moralische Unabhängigkeit verliert.
    Tolstoi verlor seinen Stolz und sein Gleichgewicht an Tschertkow, einen zweitklassigen Menschen, der sich selbst als Schüler des alten Mannes bezeichnete und ihm sagte, was er denken, wen er in seinem Leben behalten und wen er ausschließen sollte.
    Maxim Gorki gestattete Pjotr Krytschow jahrelang, über sein Leben zu verfügen. Krytschow wurde vom KGB bezahlt und hatte vermutlich auch bei Gorkis Tod seine Hand im Spiel. Offenbar schöpfte Gorki gegen Ende seines Lebens Verdacht, aber die Frage bleibt: Weshalb hat er sich so einem Mann überhaupt ausgeliefert?
    Jean-Paul Sartre lieferte sich in seinen letzten Lebensjahren Pierre Victor (oder Benny Levy) aus, einem jungen Mann, der seine sämtlichen Eigenschaften dermaßen karikierte, dass sogar die guten monströs wurden. Und die Franzosen sagten: Unserem großen Sartre passiert dasselbe wie Bertrand Russell mit Ralph Schoenman; das muss verhindert werden. Es wurde nicht verhindert.
    Es gibt eine Ausnahme von dieser traurigen Regel, aber vielleicht liegt das daran, dass es hier nicht um zwei Männer geht, einen alten und einen jungen, sondern um eine alte Frau und einen jüngeren Mann. Die Schauspielerin Louise Brooks lernte gegen Ende ihres Lebens den jungen Kenneth Tynan kennen, und es entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, zärtlich, verspielt und launenhaft, voller Sehnsucht nach unmöglicher Liebe.
    Alte Freunde, alte Genossen – alte Leute ganz allgemein – müssen in dem Augenblick auf der Hut sein, in dem ein junger Mensch erscheint, mit glänzenden Augen und mit »Ich habe Sie schon immer so sehr bewundert«. Daraus erwächst mit ziemlicher Sicherheit nichts Gutes.
    Bertrand Russell hatte auch, abgesehen von Ralph Schoenman, ein schwerwiegendes Problem: Er war heiliggesprochen worden, galt als dieser reizende alte Mann, reich an Jahren und an Weisheit. Der Appetit nach Heiligen beiderlei Geschlechts, Gurus, weisen Männern und Frauen ist unstillbar, und das bedeutet, dass die unmöglichsten Leute heiliggesprochen werden. Ich selbst habe mich gegen Versuche zur Wehr setzen müssen, mich zu einer weisen alten Frau abstempeln zu lassen. Alles, was passiert, ist, dass desillusionierte Fans und Schüler auf unfaire Art über die Leute herfallen, die sie einst so unweise verehrten. Genau das ist Bertrand Russell passiert.
     
    Ich wohnte vier Jahre in der Langham Street und habe lebhafte Erinnerungen an diese Zeit (im Gegensatz zur Warwick Road, an die ich gar nicht zu denken versuche). Das lag nicht nur daran, dass mein Leben einfacher geworden war, mit mehr Geld, weniger Sorgen und den Anfängen emotionaler Freiheit, sondern auch daran, dass die allgemeine Atmosphäre freundlicher geworden war. Das vom Krieg

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