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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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er das nie getan hat«, kommt die überzeugte Antwort.
    Zu einem anderen: »Sie haben nicht gewusst, dass Ihr Vater ein großer Frauenfreund war?« Ein leicht höhnisches Lächeln, das bedeutet:
Was, dieser alte Stockfisch?
Also hält man lieber den Mund – schließlich hat es nichts mit ihm zu tun.
    Ich werde diesen Geliebten Jack nennen. Er war Tscheche. Er hatte während des ganzen Krieges als Arzt bei unseren Truppen gearbeitet. Er war – wie konnte es anders sein – Kommunist.
    Er verliebte sich in mich, eifersüchtig, hungrig, sogar wütend – mit diesem besonderen Maß an Wut, das bedeutet, dass ein Mann mit sich selbst im Streit liegt. Ich habe mich nicht gleich in ihn verliebt. Was mich anfangs sehr anzog, war, dass er mich so über alle Maßen zu lieben schien – eine erfreuliche Abwechslung nach Gottfried. Aus meiner Sicht war ich
bereit
für den richtigen Mann, lagen meine »Fehler« hinter mir. Ich hatte in London Fuß gefasst und gedachte dort zu bleiben. All meine vorherigen Erfahrungen hatten mich auf Häuslichkeit programmiert. Ich konnte mir jetzt einreden – und völlig zu Recht –, dass ich mit Frank Wisdom nicht »wirklich« verheiratet gewesen war, aber wir hatten vier Jahre lang eine traditionelle Ehe geführt. Gottfried und ich hätten kaum weniger gut zusammenpassen können, aber wir hatten konventionell genug gelebt. Vor dem Gesetz und der Gesellschaft war ich eine Frau, die zwei Ehen und zwei Scheidungen hinter sich hatte. Ich hatte
das Gefühl
, dass diese Ehen nicht zählten. Ich war einfach zu jung, zu unreif gewesen. Die Tatsache, dass das mäßig liebevolle, fast beiläufige Verhältnis, das ich zu Frank gehabt hatte, gerade in diesen Kriegsjahren, in denen Leute viel zu übereilt heirateten, kaum etwas Ungewöhnliches war, bedeutete nicht, dass ich mich nicht nach etwas Besserem sehnte. Mit Gottfried war ich eine politische Ehe eingegangen. Ich hätte Gottfried niemals geheiratet, hätte ihm nicht das Internierungslager gedroht. Damals heirateten ständig Leute, um jemandem einen Namen, einen Pass, einen Ort zum Bleiben zu geben; in London gab es Organisationen eigens für den Zweck, bedrohte Leute aus ganz Europa zu retten. Doch heute, in glücklicheren Zeiten, haben die Menschen vergessen, dass solche Ehen alles andere als ungewöhnlich waren. Nein, mein
wirkliches
Leben, was die Gefühle betraf, lag noch vor mir. Und ich verfügte über all die Talente, die Intimität einem abverlangt. Ich war dazu geboren, gesellig und leidenschaftlich wie ich war, mit dem richtigen Mann zu leben. Und da kam er.
    Jack war das jüngste von dreizehn Kindern und entstammte einer sehr armen Familie aus der Tschechoslowakei. Zur Schule musste er kilometerweit laufen – genau wie die Schwarzen heute in weiten Teilen Afrikas. Die Familie hatte kaum genug Geld für ausreichendes Essen, geschweige denn, um Kleidung zu kaufen. Das war damals nichts Ungewöhnliches für das Leben auf dem Kontinent und in manchen Gegenden von Großbritannien: Die Leute erinnern sich nur nicht gern an die fürchterliche Armut, die in den zwanziger und dreißiger Jahren herrschte. Jack war wie alle seine Mitschüler schon als Teenager Kommunist. Er war ein wahrer Kommunist, einer, für den die Partei Heim, Familie, die Zukunft, sein tiefstes und vernünftigstes Selbst war. Bei ihm lagen die Dinge völlig anders als bei mir, die ich eine Wahl gehabt hatte. Als wir uns kennenlernten, waren seine besten Freunde in der Tschechoslowakei, Freunde aus seiner Jugendzeit, die Führungsspitze der Tschechischen Kommunistischen Partei, gerade vor den Augen der ganzen Welt als Verräter am Kommunismus bloßgestellt und elf von ihnen gehenkt worden. Im Hintergrund hatte Stalin als unsichtbarer Regisseur die Fäden gezogen. Für Jack brachen damit die Grundfesten der Welt zusammen. Für ihn war undenkbar, dass seine alten Freunde Verräter gewesen sein sollten. Er konnte es einfach nicht glauben. Andererseits war es ebenso undenkbar, dass die Partei einen Fehler gemacht haben konnte. Er hatte Albträume. Er weinte im Schlaf. Genau wie Gottfried Lessing. Wieder teilte ich das Bett mit einem Mann, der aus Albträumen aufschreckte.
    Die zweite Katastrophe in seinem Leben war der Tod der Eltern und Geschwister – bis auf eine Schwester, die nach Amerika flüchten konnte – in den Gaskammern.
    Das ist eine grauenhafte Geschichte. Sie war auch damals grauenhaft, aber im Kontext dieser Zeit gesehen nicht schlimmer als die vieler

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