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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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eingeschlagen werden würde. Und er war nicht das einzige Kind dort, das Angst um Eltern oder ältere Geschwister hatte. Und außerdem fing ich an, den Wert von Demos oder »sit-downs« und Zusammenstößen mit der Polizei in Frage zu stellen, weil viele Leute so viel Spaß daran hatten. War es wirklich so, dass ihr erster Impuls der Spaß und die Aufregung war, die Spannung, das Zusammentreffen mit anderen Leuten, und die Politik erst an zweiter Stelle stand? Heute glaube ich, dass es so war. Die Kameras wurden weggerollt, die Journalisten rutschten auf ihren Hintern herbei, um ihren Interviewpartnern näher zu sein, die Schmähungen der Polizei wurden immer lauter, man konnte sehen, wie die Polizei bestimmte Leute beobachtete, die sie aufs Korn zu nehmen gedachte, und dann verschwanden die Presse und die Kameras – die Zeugen –, und die Polizei stürmte vor. Sie hoben sitzende Leute hoch, die nicht aufstehen wollten, und führten sie zu den Wagen, ignorierten aber Leute wie mich, die aufstanden und davongingen. Ich hörte, wie die Bürgermeisterin von einem Stadtteil Londons den Polizisten »Dreckige Schweine« zubrüllte, obwohl sie sie nicht angerührt hatten. Ich ging neben Oscar Beuselink her, der in seiner beruflichen Eigenschaft beobachtete, wie die Wagen mit ihren Ladungen davonfuhren. Die Polizisten achteten sehr darauf, dass sie berühmte Leute nicht grob behandelten, aber sie stießen diejenigen herum, von denen sie verhöhnt worden waren. In einem der Wagen wäre ein junger Mann fast gestorben: Er war mit seiner Jacke über dem Kopf so hineingeschleudert worden, dass er nicht mehr richtig atmen konnte. Andere in dem Wagen, denen auffiel, dass er sich nicht bewegt und nichts gesagt hatte, zogen die Jacke herunter und stellten fest, dass er bereits blau angelaufen und bewusstlos war. Sie sagten zu den Polizisten: »Ihr hättet ihn fast umgebracht«, aber diese erwiderten: »Dann ist es ja ein Glück, dass ihr da wart, stimmt’s?«
    Ich wusste damals nicht recht, was ich von diesen »Demos« halten sollte und weiß es auch heute noch nicht. Hatte diese eine die Regierungspolitik verändert? Irgendjemand anderen Sinnes werden lassen, der sie im Fernsehen sah? Habe ich damals gesagt, sage ich heute, dass die Tatsache, dass es Leute gibt, denen es Spaß macht, sich mit der Polizei anzulegen, bedeutet, ihre Bemühungen hätten keinerlei Wert? Aber eines weiß ich mit Sicherheit: Bei späteren Demonstrationen des »Komitees der Hundert«, die bald darauf begannen, wo es zu einer regelrechten Schlacht vor der amerikanischen Botschaft kam und zu Konfrontationen vor atomaren Einrichtungen, war ein harter Kern von Leuten aus purer Kampfeslust dabei.
    Was dieses von mir erlebte »sit-down« anging, so nahm es sofort seinen Platz in der Liste der großen Schlachten zwischen Bürgern und Polizei auf dem Trafalgar Square ein.
    Wenig später nahm ich als Zuschauerin an einer anderen politischen Konfrontation teil. Man hatte beschlossen, sich vor Downing Street Nr.  10 »hinzusetzen«, um gegen »die Bombe« zu protestieren. Ich stand auf dem Gehsteig und beobachtete das, was vor sich ging. Ernest Rodker setzte sich hin, inmitten einer Masse von Menschen. Er war bis dahin unpolitisch gewesen, vermutlich als Reaktion auf seine politische Mutter. Als die Polizei erschien, um die Sitzenden zu vertreiben, beging Ernest seine erste politische Tat. Er kippte den Helm eines Polizisten nach vorn, was nicht sonderlich klug war. Sofort fielen sechs Polizisten über ihn her, die ihn traten und schlugen, während er zwischen ihren Beinen lag und versuchte, seinen Kopf vor ihren Angriffen zu schützen. Am nächsten Morgen war ich in der Bow Street, wo der Richter, der ihn verurteilte, zu ihm sagte: »Sie sind offensichtlich ein junger Mann mit einem eingefleischten Hang zur Gewalttätigkeit.« So begann Ernests Karriere als politischer Aktivist. Er war jahrelang ein prominentes Mitglied des »Komitees der Hundert«.
     
    Irgendwo in diesen Zusammenhang gehört das Denken über »die Bombe«. Das war die Art, auf die die atomare Bedrohung gesehen wurde: als eine einzige, alles entscheidende und endgültige Explosion, die alle Menschen töten und die Erde wahrscheinlich für Jahrhunderte verwüsten würde. Es gab zwei Beispiele, Hiroshima und Nagasaki. Zwei Bomben. Trotzdem war es »die Bombe«, die unser Denken beherrschte, unsere Lieder, unsere Reden, die Manifeste. Der idiotische Daumen drückt auf den Knopf, die Bombe fällt,

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