Schritte im Schatten (German Edition)
was ich immer noch für Unehrlichkeit hielt. Ich verabscheute alle weiblichen Listen als Beleidigung wahrer Freundschaft, der Menschheit und des ganzen menschlichen Wesens. Es wäre mir zutiefst zuwider gewesen, mich unnahbar zu geben, zu kokettieren, »Heiß und kalt« zu spielen. Ich würde sagen, das ist in der Regel bei Frauen aus dem Westen der Fall, und ich war zudem noch außerhalb von Großbritannien aufgewachsen und deshalb noch freier von den heuchlerischen Fesseln der Vergangenheit – so sah ich es jedenfalls. Eine kumpelhafte Gleichheit, das war mein Stil, ungezwungene Freundlichkeit, sogar Intimität.
Um den Unterschied zwischen den emanzipierten Frauen aus dem Westen und, sagen wir, Inderinnen zu erkennen, braucht man nur eine Stunde in einer gemischten Gruppe zu verbringen und die Frauen zu beobachten. Schmachtende Augen, tiefe Blicke, Seufzer, kleine flatternde Rückzugsmanöver, kokette Schleier und Tücher sind ständig am Werk. Es ist nicht so, dass es solche Manipulatorinnen im Westen nicht gibt, und wenn sie auftauchen, dann müssen die emanzipierten Frauen hilflos zurücktreten und zusehen, wie die Männer auf jene hereinfallen, denn die traditionellen Unehrlichkeiten beruhen auf einer gründlichen Kenntnis der Natur von Männern und Frauen. Eine Frau, die »Heiß und kalt« spielt, spielt das älteste und erfolgreichste Spiel der Welt – die Regeln werden auf bewundernswerte Weise in Stendhals
Über die Liebe
dargelegt. Wie kann man diese ideale, perfekte,
ehrliche
, liebevolle Freundschaft mit einem Mann genießen, wenn man sich solcher Tricks bedient? Aber für manche Frauen sind das keine Tricks, sie tun nur, was ihnen die Natur eingibt … und so geht es weiter und weiter.
Bei Frauen aus dem Westen, insbesondere den Engländerinnen, wissen die Männer nicht, woran sie sind – ausgenommen diejenigen Männer, die über einen ausgeprägten Instinkt für das Wesen der Frauen verfügen, bei denen man sofort das Gefühl einer glücklichen Komplizenschaft hat.
Um diesem Herumpaddeln in trüben Gewässern ein Ende zu bereiten: Die kumpelhafte und hilfreiche Gleichheit bedeutete (und bedeutet), dass ein Mann vielleicht glaubt, dass eine Frau ihn liebt – einfach deswegen, weil sie ihm eine ungezwungene Intimität gestattet hat –, und dann innerlich jubelt oder die Flucht ergreift. Aber ebenso gut kann es sein, da sie immer noch eine Frau ist und unter all dieser Freundlichkeit immer noch ein Rest von Schüchternheit steckt, dass sie ihn heiß und innig liebt und er keine Ahnung davon hat.
Ich blicke zurück auf einen Wirrwarr von Missverständnissen. Männer, die ich mochte, die ich zu Freunden haben wollte, bildeten sich ein, ich liebte sie, und waren verwirrt, wenn ich ablehnte, nahmen es mir übel, waren verletzt:
Weshalb hat sie mir Avancen gemacht?
Männer, von denen ich hoffte, dass sie erkennen würden, dass ich an ihnen interessiert war, wussten es nicht, weil die Anzeichen durch allgemeine Kumpelhaftigkeit so gut getarnt waren. Die Ungezwungenheit, das zwanglose »Alles ist möglich« der fünfziger und dann der sechziger Jahre verhüllte echte Gefühle, Angezogensein und Widerwillen. Wenn es eine Konvention gibt, der zufolge ungezwungener Sex ein Anzeichen einer allgemeinen Befreiung, Zivilisation und Gleichheit ist, was wird dann aus dem subtilen Hin und Her, den natürlichen Zuneigungen und Antipathien – mit anderen Worten, dem wahren Sex?
Um die Konfusion noch zu steigern: Ich flirtete gern, sehe darin aber nicht mehr als ein nettes Spiel, eine angenehme Konvention. In anderen Weltgegenden ist es jedoch mehr als nur das. Kürzlich lernte ich zwei junge Frauen aus Mexiko kennen, die ihren Urlaub in Kanada und den Vereinigten Staaten verbracht hatten. An die schmeichelhaften Aufmerksamkeiten von Männern und das Vergnügen des Flirtens gewöhnt, fragten sie sich bald, was mit ihnen nicht stimmte: Hatten sie ihr gutes Aussehen und ihren Charme eingebüßt? Sie fragten einen mitfühlenden Freund, und der sagte: »Das versteht ihr nicht; Männer dürfen nicht mehr zeigen, dass sie Frauen attraktiv finden; sie könnten im Gefängnis landen.«
Mein bizarrstes sexuelles Erlebnis hatte ich mit Ken Tynan. Wir waren zusammen im Theater gewesen und dann auf einer Party mit Schauspielern, die sich nach einer Vorstellung abreagierten. Ken war der Star, er versprühte Witz, wohlwollende Ratschläge und Kritik. Dann war es sehr spät, und er schlug mir vor, die Nacht in der Mount
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