Schritte im Schatten (German Edition)
und das ist das Ende von allem. In sehr ferner Zukunft werden ein paar mutierte Überlebende auf der vergifteten Erde herumkriechen, und das Leben wird erneut beginnen.
Aber wo kam dieses Modell her – das Modell in unserem Denken –, denn das musste es sein, ein Modell, das allen gemeinsam war, die da marschierten, demonstrierten, schrieben. Die Apokalypse, Armageddon, das alles vernichtende Feuer.
Ich bekam einen Brief von einigen jungen Wissenschaftlern – aber das war in den siebziger Jahren –, die mich fragten, weshalb ich dazu beitrüge, eine falsche Sicht der Bedrohung zu verbreiten, die nicht in einer einzelnen, endgültigen Katastrophe oder Apokalypse bestehe, sondern in einer Vielzahl von Gefahren wie zum Beispiel der Tatsache, dass große Gebiete der Sowjetunion durch Explosionen, über die nie offiziell berichtet worden sei, verheert, vergiftet und unbewohnbar geworden seien. Derartige Dinge stellten eine viel größere Gefahr dar als eine einzelne Bombe. (Tschernobyl lag natürlich noch in der Zukunft.) Wenn ich mich nützlich machen wolle, schlugen sie vor, dann solle ich aufhören, über »die Bombe« zu reden, und stattdessen darauf hinweisen, dass es sehr viele verschiedene Gefahren gebe.
Als ich
Shikasta
schrieb, den ersten Band von »Canopus im Argos: Archive«, und die Bombe fallen ließ, war es die nördliche Hemisphäre, die verheert und unbewohnbar wurde – aber es war nicht das, was die Leute »aufnahmen«, als sie das Buch lasen, denn Leser redeten, als hätte ich die Zerstörung der ganzen Erde beschrieben. Es ist nicht die Story, die Handlung, die mich heute interessiert, sondern die Tatsache, dass es überhaupt keine Zweifel daran gab, dass, wenn die Bombe fiel, die ganze Erde verheert werden würde.
Die
Bombe – und
das
Ende.
Steckt dieses Modell immer noch im kollektiven Bewusstsein, und wenn ja, wo und wie arbeitet es? Was hat es zu dem beigetragen, was tatsächlich passiert ist – was trägt es noch dazu bei? Auf alle Fälle lenkte es meine Gedanken auf Südafrika, denn jahrzehntelang hatte jedermann geglaubt, es würde die »Nacht der langen Messer« geben, das »Blutbad« – etwas anderes war nicht möglich.
Hushabye baby on the treetop,
When the wind blows the cradle will rock,
When the wind blows, the cradle will fall,
And down will fall baby and cradle and all.
Irgendwann gegen Ende der sechziger Jahre ertappte ich mich dabei, dass ich lachte, völlig unvermutet, zuerst hilflos, ein ungläubiges und fassungsloses Kläffen, und dann ein echtes Lachen, hahaha, oh mein Gott, es ist so komisch …
Was war komisch? Der Sex war es. Dieses Lachen steht nur chronologisch am falschen Platz, denn es waren nicht nur die sechziger Jahre, auf die ich zurückschaute, sondern auch die fünfziger: Wie ich bereits andeutete, hat der Sex nicht erst in den Sechzigern »begonnen«.
Was die fünfziger und dann die sechziger Jahre auszeichnete, war, dass es keine Beschränkungen gab. Dies muss das erste Mal in der Geschichte – in der Geschichte, an die wir uns erinnern – gewesen sein, wo es keine allgemein akzeptierten Konventionen gab und gleichzeitig die Möglichkeit der Geburtenkontrolle bestand. Alles war erlaubt. Und es gab auch weiterhin keine Gesetze, bis Aids kam und die Tugendhaftigkeit auf einen Schlag wiederherstellte.
Ich würde sagen, dass in den Fünfzigern, was Liebe oder Sex anging, das Offensichtlichste – später offensichtlich – war, dass Leute miteinander ins Bett gingen, weil man es von ihnen erwartete. (Der Zeitgeist verlangte es.) Manche Leute paarten sich wie hypnotisierte Fische, die gegeneinanderprallen. Neugierde? Vielleicht ein wenig. Sexuelles Fieber – ganz und gar nicht. Diese Umarmungen hatten nichts mit Liebe zu tun und auch nicht viel mit Sex. Ich meine, echter sexueller Anziehung. Das Ganze hatte eine Art Passivität an sich.
Niemand wusste, wie er sich verhalten sollte, weder Männer noch Frauen. Und das ist der Grund dafür, dass es so viel unglückliche Leute, so viel Verständnislosigkeit gab. Übertreibe ich? Ja, das tue ich, denn ich lasse hier die erfreulichen und glücklichen Beziehungen außer Acht.
Heute verfügen wir alle über Bücher, in denen die grundlegenden Unterschiede zwischen Männern und Frauen erklärt werden, aber die Sechziger fielen mit einem Stadium der feministischen Bewegung zusammen, in dem man alle Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestritt. Oder, wie D. H. Lawrence es ausdrückte,
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