Schritte im Schatten (German Edition)
Theaterleute und Künstler leben sollten, aber der Makler sagte: »Ich würde meine Mutter oder meine Schwester nicht in so einer Straße wohnen lassen.« Camden Town musste erst noch Mode werden, aber inzwischen war es für eine Menge kluger Leute ein angenehmer Ort zum Leben. Tom Maschler hatte Probleme gehabt, das Geld zum Kauf eines billigen Hauses am Chalcot Square zu bekommen, der in Kürze das Neueste an Schick werden sollte. Eine Freundin konnte keine Bank finden, die ihr das Geld für ein riesiges Haus in der Regent’s Park Road lieh, aber sie borgte sich welches, kaufte es für 6000 Pfund und verkaufte es fünfundzwanzig Jahre später für über eine Million. Die Experten irren sich immer und immer wieder. Wer behält recht? Unpraktische Künstler mit dem Kopf in den Wolken, die es nicht kümmert, ob es Mode ist, die nur etwas finden wollen, das billig und gut zu erreichen ist.
Nicht nur der Makler, sondern auch die Bank wollten nichts davon hören, dass ich mir ein Haus im schäbigen Camden Town kaufte, und ich war halb von Sinnen vor Sorge. Dann tauchte ein gewisser Herr auf, den ich Len nennen will. Zehn Jahre zuvor wäre er ganz eindeutig ein dubioser Typ gewesen, ein Schieber, ein Gauner, immer auf der Suche nach einer guten Gelegenheit –
mir
macht niemand etwas vor –, aber dies war 1962 , der Beginn der kumpelhaften, klassenlosen Sechziger, und wenn ich zurückblicke, kann ich aus einer ziemlich buntscheckigen Liste von Charakteren etliche herauspicken, die keine Gauner waren, sondern lediglich im Einklang mit der Zeit lebten. Und wenn dies die Achtziger gewesen wären, dann wären sie die Lieblinge der Nation gewesen. Len war »unsichere« Mittelschicht, er trug einen Dufflecoat, er hatte einen schicken Haarschnitt, und er warf mit den Namen von Schauspielern und Leuten vom Fernsehen um sich. Er brachte mich in die Charrington Street in Somers Town, heute berüchtigt für Unruhen und Verbrechen, aber früher einmal kamen dort Flüchtlinge aus Frankreich unter, die Hugenotten.
Mary Wollstonecraft lebte in Somers Town mit William Goodwin, und ihre Namen stehen auf den Grabsteinen auf dem kleinen Friedhof gleich um die Ecke. Shelley muss zu Besuch gekommen sein. Die Charrington Street ist eine kurze Straße, und auf der einen Seite wurden die Häuser abgerissen, um Platz zu schaffen für eine neue, große Schule. Die ganze Straße war schäbig und ungestrichen. Nr. 60 , das verkauft wurde, weil die alte Frau, der es gehörte, nicht mehr für sich selbst sorgen konnte, war 4000 Pfund billiger als alles andere, das ich mir angesehen hatte. Es kostete 4500 Pfund. Billig aus gutem Grund. Es war seit Jahrzehnten nicht mehr gestrichen worden, vermutlich nicht, seit es gebaut worden war, und seine Fassade war so rissig wie das Bett eines ausgetrockneten Flusses und mit dunkelbraunen Schuppen bedeckt, die aussahen wie schale Schokolade. Im Inneren war nichts getan worden, seit es 1890 erbaut worden war.
Meine Bank sagte Nein, kommt gar nicht infrage, nicht in dieser Gegend, hatten sie mir das nicht bereits gesagt? Aber Len sagte, er könne mir eine Hypothek verschaffen, überhaupt kein Problem, und ich könne mich auf sein Wort verlassen, denn das Haus sei von seiner Substanz her gut, denn damals habe man auf Dauer gebaut. Nein, ein Gutachter sei nicht nötig; er habe es bereits begutachten lassen. Und so wurde ich Kundin der National Westminster Bank. So sehr hatten sich die Verhältnisse geändert, dass der Manager, als ich ihm erzählte, der große Albtraum meines Vaters sei immer gewesen, dass er sich in Schulden stürzen müsse oder seine Schulden noch größer werden würden, als sie ohnehin schon waren, regelrecht schockiert war und sagte, der einzige Sinn des Bankgeschäfts sei es, Geld zu verleihen. Und so bekam ich eine Hypothek und ein Darlehen zur Renovierung des Hauses. Dies war alles andere als eine bedenkliche und dubiose Finanzierung, ganz im Gegenteil; was dubios war, war Lens Vagheit über den Status von Nr. 60 . Es bestehe die Möglichkeit, sagte er, dass sein Abriss und die bauliche Neugestaltung der Gegend geplant seien, aber schließlich komme es oft vor, dass der Greater London Council den Abriss von Häusern jahrelang plane. Außerdem würde er mich entschädigen müssen. Ich bin immer Risiken eingegangen, und das tat ich auch jetzt wieder, denn andernfalls hätte ich mir nie ein Haus in einer Gegend leisten können, in der ich leben wollte, und so tat ich diesen
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