Schritte im Schatten (German Edition)
Komitee ein Jahr an und hasste jede Minute. Obwohl daran gewöhnt, mich stets auf der falschen Seite zu finden – manchmal glaube ich, es ist ein Fluch, mir in die Wiege gelegt –, war dies falscher als falsch. In einer falschen Position befindet man sich immer dann, wenn die Leute um einen herum glauben, dass man derselben Ansicht ist wie sie oder dass man für etwas gänzlich davon Verschiedenes steht, wobei sie von dieser Verschiedenheit äußerst genaue Vorstellungen haben. Oder man stellt fest, dass diese oder jene Position stark vereinfacht worden ist, ein bloßes Bündel vorgefasster Meinungen, was unweigerlich zur Folge hat, dass der eigene Verstand dazu übergeht, innerlich einen fortlaufenden Kommentar abzugeben und alles auszuschmücken, was gesagt oder angenommen wird. Das habe ich schon als Kind getan. In jungen Jahren war dieser opponierende Kommentar gereizt und ungezügelt, aber je älter ich werde, desto verdrossener wird er: »Oh Gott, muss das sein?«
Es gab noch ein anderes Problem, das ich niemandem zu erklären brauche, der aus den Kolonien kommt (wobei ich in diesem Fall Kanada, Australien, Südafrika und all die anderen Länder einschließe, die einstmals zum Britischen Empire gehörten) – und ebenso wenig den meisten Ausländern. Wir waren zeitlebens daran gewöhnt, die Briten an schwierigen Orten arbeiten zu sehen, oft isoliert, allen erdenklichen Arten von Entbehrungen und Unbilden ausgesetzt. Wir wussten, dass die Briten nur dann wirklich glücklich sind, wenn sie entweder auf dem Gipfel eines schwierig zu besteigenden Berges stehen, den Atlantik in einer Nussschale überqueren oder sich allein in der Wüste beziehungsweise tief in einem Urwald befinden. Unbezwingbar ist das richtige Wort. Unabhängig. Die Einsamkeit liebend. Und trotzdem geht von den gleichen Leuten etwas Gemütliches, etwas Insuläres aus. Sie drängen sich, wenn sie mit einem Fremden konfrontiert werden, zusammen und haben Gesichter wie verängstigte Kinder. Da begegnet man einer Unschuld, etwas Ungelebtem, häufig zusammengefasst mit: »Sie müssen verstehen, seit Hunderten von Jahren ist niemand in England eingefallen.«
Da ist eine Kleinheit, eine Zahmheit, eine tief gründende, instinktive, beständige Weigerung, Gefahr oder auch nur das Unvertraute an sich heranzulassen, ein Widerwille gegen das Verstehen extremer Erfahrungen. Irgendwo – so argwöhnt der Fremde, und zu Vergleichszwecken bin ich, während ich dies schreibe, gleichfalls eine Fremde –, irgendwo tief in der Psyche Großbritanniens steht ein Kinderzimmer aus der Edwardianischen Zeit, von scharfen, Eindringlinge abwehrenden Dornen umgeben, und drinnen liegt ein schlafendes Dornröschen mit einem Zettel am Saum ihres Kleides: Bitte nicht berühren. Zur Weihnachtszeit, als ein Kind bei mir zu Besuch war – und das war in den siebziger Jahren –, standen folgende Theaterstücke auf den Programmen der Londoner Theater:
Peter Pan. Let’s Make an Opera. The Water Babies
– Kinder als Schornsteinfeger.
Alice im Wunderland. Toad of Toad Hall. Pu der Bär
. Es gibt einem zu denken, wenn man in einer Nachmittagsvorstellung von
Pu der Bär
sitzt und die jungen Mütter, nicht die Kinder, bitterlich weinen.
Aus meinen Erinnerungen an dieses unselige Jahr als Komiteemitglied heben sich zwei Dinge besonders heraus. Das eine ist die Diskussion über
My Fair Lady
, basierend auf Shaws
Pygmalion
. In Shaws Stück gibt es eine Zukunft für Eliza. Sie erhört ihren reichen, unbedeutenden Anbeter, um sich vor ihrer Herkunft und ihrem Peiniger Higgins zu retten, doch dann nimmt sie ihr Leben in die eigenen Hände. Aber die Schöpfer des Musicals beschlossen, dass sie sich für Higgins entscheiden sollte. Und damit gibt es in der Literatur eine weitere masochistische Frau, die es glücklich macht, dem Mann seine Pantoffeln zu bringen und ihm die Füße zu küssen. Die Society of Authors bekommt zehn Prozent der Tantiemen des Musicals. Das hat mich damals schockiert, und es schockiert mich noch heute. Ich konnte es einfach nicht glauben, und es fällt mir noch heute schwer, dass, wo Shaw seine Intentionen so deutlich machte, man sich nur des Geldes wegen über sie hinwegsetzte. Es war diese Diskussion, die mir sagte, wie fehl am Platze ich zwischen diesen Leuten war, die an dem, was sie taten, nichts Falsches sehen konnten. Die andere üble Geschichte passierte, als Dylan Thomas im Begriff stand, nach New York zu reisen, und sich dort der Verbindungen
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