Schritte im Schatten (German Edition)
sich mit dem Verlangen verbindet, zu kontrollieren und zu unterdrücken.
Als ich John Sommerfield diese Geschichte erzählte, sagte er: »Wenn du England verstehen willst, brauchst du dich nur daran zu erinnern, dass wir für die Aussicht auf ein paar Pfund Profit Nash’s Regent Street platt gewalzt haben.«
Französisches Essen. Unser Essen war damals miserabel, aber auf der anderen Seite des Kanals, in Frankreich, gab es richtiges Essen. Das war ein Jahrzehnt vor Elizabeth David. Wie wir murrten und das verabscheuten, was wir hatten! Die Feinkostgeschäfte waren unser Trost, die französischen und italienischen Lebensmittelgeschäfte in Soho. Weiches Weißbrot war das Symbol für alles Schlechte an unserem Essen. (In den Neunzigern ist dieses verhasste Brot in Paris der letzte Schrei; dort kann man von unseren Weißbrot-Sandwiches gar nicht genug bekommen.) Nein, Baguettes, Croissants, Brioches – und Gauloises und Gitanes –, das war Zivilisation. Essen ist immer mehr als nur Essen. Die Rückkehr aus Soho mit einer schönen Ecke Brie oder Camembert oder französischem Gebäck war ein Sieg über die Barbarei. Heute frage ich mich, wie viel diese Leidenschaft für Nahrungsmittel – zweifellos angefacht von den Entbehrungen des Krieges und unseren kurzen Reisen nach Frankreich und Italien – zu unserer gegenwärtigen Besessenheit in puncto Essen beigetragen hat, ganze Seiten voller Rezepte, Unterhaltungen über Restaurants und Küche, Rezensionen von Kochbüchern, die wir lesen wie Romane. Heutzutage wird dem Thema Essen in unseren Zeitungen und Fernsehsendern mehr Platz eingeräumt als Büchern.
Almosen gab es nicht mehr – für immer. Der Wohlfahrtsstaat hatte dieser bitteren Beleidigung der Armen ein Ende gemacht. Außerdem würde es bald keine Armen mehr geben. »Wenigstens brauchen wir nicht mehr der milden Gaben wegen in unsere Taschen zu fassen.«
Margharita Laski schrieb ein Theaterstück,
The Offshore Island
, in dem es darum ging, dass Großbritannien eine Kolonie der Vereinigten Staaten geworden war. Überall in Großbritannien gab es amerikanische Militärbasen: Das war der Preis, den wir dafür zahlten, dass die Vereinigten Staaten uns gerettet hatten, als wir »ganz allein« gegen Hitler kämpften. Sie wurde als Kommunistin geschmäht, was sie keineswegs war. Jeder, der »das Establishment« kritisierte – ein Ausdruck, der damals gerade aufkam und den der »herrschenden Klasse« ablöste –, war ein Kommunist und damit ein Verräter. Heute erscheint mir dies als eine der schlimmsten Konsequenzen des Kalten Krieges: Legitime und nützliche Kritik wurde mit der Bemerkung beiseitegewischt: »Das ist ja nur kommunistische Propaganda.«
Picasso kam nach London. Er bekannte sich offen, um nicht zu sagen hochmütig, zum Kommunismus: Nehmt mich, wie ich bin, oder lasst es bleiben. Er war es gewesen, der die Friedenstaube gezeichnet hatte, die die kommunistischen Friedenskampagnen in aller Welt zierte. Er wurde alles andere als herzlich willkommen geheißen. Es gab nicht nur Lobreden, sondern auch Wut: »Wir wollen diesen Kommunisten hier nicht haben.« Unruhen wurden angedroht. Sein Ruhm war damals noch nicht so unangefochten wie heute. Scharlatan, Schwindler, Marktschreier, Umstürzler – ein weiterer Grand Old Man im Werden.
In den Kinos und Theatern standen wir auf, wenn die Nationalhymne gespielt wurde.
So oft wir konnten, sahen wir uns französische und italienische Filme in den beiden Kunst-Kinos in der Oxford Street an,
Studio One
und
The Academy
. Das National Film Institute existierte damals noch nicht. Wir verbrachten glückliche Stunden in den Kinos, und oft sagten wir: »Ich gehe los, um mir eine Portion Sonne zu holen.« In französischen und italienischen Filmen kamen wir für ein oder zwei Stunden in den Genuss der Anmut und des Charmes, die uns so sehr abgingen.
Fernsehen: Diese monströse neue Erfindung schickte sich an, das Denken unserer Kinder zu verderben. Was konnten wir gemeinsam tun, um uns davor zu schützen?
Das Britische war immer noch das Beste: alles Britische.
Ausländer sagen, wie zivilisiert unsere Straßen sind, so liebenswert. In
The Writers’ Group
witzelten wir, dass das ewige Problem im gegenseitigen Verstehen zwischen Großbritannien und der Sowjetunion mit einem Schlag zu lösen wäre, wenn die Russen sich auf das Großbritannien der Romane Dickens’ und wir uns im Fall von Russland auf die von Dostojewski
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