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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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besinnen würden.
     
    Bisher war dies in erster Linie ein Bericht über äußerliche Ereignisse: Reisen, Versammlungen,
The Writers’ Group
, Politik – und so wird es weitergehen. Ein Gerüst, ein Rahmen, in den sich das innere Leben einfügt. Aber angenommen, es wäre umgekehrt – das Schreiben wäre der Rahmen und die Gedanken das, was sich in ihn einfügt? Es ist unmöglich, das Leben eines Schriftstellers zu beschreiben, denn das Reale an ihm lässt sich nicht niederschreiben. Wie habe ich meine Tage verbracht in diesen frühen Jahren in London, in der Church Street? Ich wachte um fünf auf, zusammen mit Peter. Er kam in mein Bett, und ich erzählte ihm Geschichten oder las ihm welche vor. Wir zogen uns an, er frühstückte, und dann brachte ich ihn zur Schule. Aber bald setzte ich ihn nur in den Bus, und er fuhr allein. Ich nehme an, heute wäre das nicht mehr möglich. Ich kaufte ein paar Sachen ein, und dann begann mein eigentlicher Tag. Der fieberhafte Drang, dieses oder jenes zu erledigen – das, was ich die Hausfrauenkrankheit nenne. »Ich muss dieses oder jenes einkaufen, Soundso anrufen, das darf ich nicht vergessen, ich muss mir eine Notiz machen« – all das musste gedämpft werden, bis der stumpfe, gefühllose Zustand erreicht war, den man zum Schreiben braucht. Manchmal erreichte ich ihn, indem ich ein paar Minuten schlief und darum betete, dass das Telefon stumm blieb. Schlaf ist immer mein Freund gewesen, mein Erneuerer, meine Schnellreparatur, aber es war in dieser Zeit, dass ich den Wert eines nur ein paar Minuten währenden Eintauchens – in was? – schätzen lernte, um dann gelöst, ruhig, dunkel, arbeitsbereit wieder hervorzukommen.
    Wenn Peter für ein paar Tage oder übers Wochenende bei den Eichners war oder meine Mutter ihn irgendwohin mitgenommen hatte, legte ich mich oft einfach ins Bett und glitt in diesen erholsamen Unterwasser-Zustand, in dem man schlaff daliegt, zur Oberfläche emporsteigt, sie fast erreicht, sinkt, aufsteigt … man ist nicht wirklich bei Bewusstsein, wenn man sich dem Wachzustand nähert, und der Schlaf selbst wird leichter gemacht durch das Halbwissen darum, dass man schläft. Eine Stunde … sogar ein ganzer Tag, wenn ich zu hektisch geworden war. Als ich älter wurde und geschickter darin, meine Gefühlsökonomie zu verwalten, begann ich mich zu fragen, ob der Zustand des Wachseins zur Anhäufung irgendeiner Substanz führt, die klirrt und vibriert, einen angespannt und überreizt macht, und dass das sich verstärkt um das Hundertfache, wenn man schreibt; aber nur ein paar Minuten Schlaf, das leichteste Eintauchen in diese andere Dimension, löst die Anspannung, macht einen wieder ruhig, neugeboren.
    Und nun steht auf dem kleinen Tisch, von dem das Frühstücksgeschirr abgeräumt und durch verstreute Blätter ersetzt worden ist, die Schreibmaschine und wartet auf mich. Jetzt beginnt die Arbeit. Ich setze mich nicht hin, sondern wandere durchs Zimmer. Ich denke im Gehen, denke, während ich eine Tasse abspüle, eine Schublade aufräume, eine Tasse Tee trinke, aber in Gedanken bin ich nicht bei diesen Aktivitäten. Irgendwann sitze ich auf dem Stuhl vor der Maschine. Ich schreibe einen Satz … wird er stehenbleiben? – lassen wir das fürs Erste, das findet sich später, erst einmal weitermachen, in Gang kommen. Und so geht es weiter, ich wandere herum, meine Hände beschäftigen sich mit diesem oder jenem. Nach dem zu urteilen, was man sehen kann, könnte man glauben, ich wäre ein Muster an Hausfrau. Ich versinke für ein paar Minuten in Schlaf, weil ich in einen Zustand unangenehmer Hochspannung geraten bin. Ich wandere, ich schreibe. Wenn das Telefon läutet, versuche ich das Gespräch zu führen, ohne die Konzentration zu unterbrechen. Und so geht es weiter, den ganzen Tag über, bis es an der Zeit ist, das Kind von der Schule abzuholen, oder es vor der Tür steht.
    Diese Sache mit der körperlichen Bewegung als Straße zur Konzentration: Maler tun es häufig. Sie wandern im Atelier herum, scheinbar ziellos. Sie säubern einen Pinsel. Sie werfen einen anderen fort. Sie bereiten eine Leinwand vor, aber man kann sehen, dass sie in Gedanken ganz woanders sind. Sie schauen aus dem Fenster. Sie machen sich eine Tasse Kaffee. Sie stehen lange Zeit vor der Leinwand, mit dem Pinsel in der Hand. Endlich fängt sie an: die Arbeit.
    Ich unternahm keinerlei Versuche zu schreiben, während das Kind zu Hause war, denn das hätte nur zu Irritationen auf

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