Schritte im Schatten (German Edition)
»Dieses wundervolle, großartige, hinreißende Buch … Vertrauen Sie uns, Sie werden sehen.« Der Autor lächelt weiter und denkt sich seinen Teil. Der Autor liest den ersten Entwurf des Drehbuchs. Nur um den Schein zu wahren, sagt er vielleicht: »Aber das hat doch nicht viel mit meinem Roman zu tun, oder?« An diesem Punkt fängt der Filmmensch an, etwas von Kompromissen zu murmeln. Das Wort
Integrität
fällt. »Die unentbehrliche Integrität der Story …« Wenn der Autor noch nicht mit den Verhältnissen vertraut ist, wird er (oder sie) völlig verblüfft fragen: »Aber weshalb haben Sie dann mein Buch überhaupt gekauft, wenn Sie es nicht verwenden oder nur die Karikatur davon? Weshalb schreiben Sie nicht von Anfang an ein eigenes Drehbuch?« Aber – und das ist der entscheidende Punkt – der Filmmensch, die gesamte Industrie, sie glauben an die Magie des Schöpferischen, auch wenn sie sie nicht verstehen. Der Roman hat das gewisse Etwas – was könnte es sein: Geist, die Macht der Faszination? Was es auch sei, sie haben das Buch gekauft, um es in die Hände zu bekommen. Sie glauben, dass etwas von dem Charme oder der Kraft erhalten bleibt, selbst wenn sie die Story oder die Idee so weit ändern, dass diese kaum noch etwas mit dem Original zu tun hat. Und manchmal haben sie recht.
Verstehen sie das? Vermutlich nicht. Diese raffinierten Burschen wissen im Grunde trotz ihrer Macht sehr wenig über das, was da mit ihnen stattfindet. Eine Sache, die sie nicht begreifen, ist, dass ihre Industrie unablässig Emotion in Energie umwandeln muss. Jeder, der aus der nüchternen Welt der Literatur in die des Films kommt, ist zunächst überrascht von den Krisen, den Tränen, den Drohungen, den hysterischen Ausbrüchen, den Anrufen um drei Uhr nachts, all der absurden Melodramatik, die das Filmemachen begleitet. Worum geht es dabei? Um das ziellose Verschwenden des eigenen Selbst.
Ein Autor kann Folgendes erleben, und oft erlebt er es tatsächlich auch: Aus dem Faxgerät oder durch Kurier erreichen ihn (»Sehr dringend«, »Sofort zustellen«) Unmengen von Text etwa des Inhalts: »Ich habe gerade Ihren wundervollen, grandiosen, fantastischen Roman gelesen. Ich habe die ganze Nacht damit verbracht …« Und so geht es schier endlos weiter. Aber das Gefühl der Begeisterung ist bereits in der Botschaft aufgegangen, hat sich verbraucht. Eine Woche später nimmt der Absender den Roman wieder in die Hand, nur um ihn ernüchtert wieder beiseitezulegen. »Er gibt mir nichts mehr – komisch.«
Als Bob Gottlieb mir – ich war noch jung – einmal riet: »Der einzige Rat, den ich jedem Schriftsteller geben kann, lautet: ›Nimm das Geld und lauf weg‹«, kam mir das zynisch vor. Aber er hatte recht. Es sei denn, man hat Spaß an einem Ausflug in diese trügerische Welt, in der nichts so ist, wie es zu sein scheint.
Man könnte der Ansicht sein, dass ich mich zu weitschweifig über Verlage und Verleger ausgelassen habe. Aber wie sollte man ohne diese über das Leben eines Autors schreiben? Beim Schreiben dieses Buches stellen sich zwei große Probleme. Ist es schon schwierig, die Atmosphäre des Kalten Krieges wiedererstehen zu lassen, die wie ein zersetzendes Gift alles in Mitleidenschaft zog und uns heute wie eine Art Irrsinn vorkommen muss, dann ist es beinahe unmöglich, den Unterschied zwischen dem Damals und Heute im Verlagswesen zu vermitteln. Junge Autoren – oder Leser – haben keine Ahnung, was ich meine, wenn ich sage: »In jener Zeit wurde das Verlagswesen vom Respekt vor wahrer Literatur regiert.« – »Was meinen Sie damit?«, fragen diese imaginären Gesprächspartner. Denn sie können nicht wissen, was ich damit meine, weil nichts in ihrer Erfahrung sie das gelehrt hat und viele nicht einmal ein gutes Buch von einem schlechten Buch unterscheiden können. Ein einziges Beispiel für diesen Wandel: Damals rezensierten Blätter wie der
Observer
nur ernst zu nehmende Bücher und hätten sich geschämt, Besprechungen von Zweitklassigem Platz einzuräumen. Wenn unser junger Mensch, der nie etwas anderes erlebt hat, in einer als »anspruchsvoll« angesehenen Zeitung eine spaltenlange Rezension über ein Sex-and-Crime-Epos liest und einen Absatz über eine Neuauflage von, sagen wir, Flauberts
Die Erziehung des Herzens
, dann weiß er oder sie, was er davon zu halten hat.
Um einen wichtigen,
den
entscheidenden Faktor zu wiederholen: Es gibt Bücher, die nur eine Minderheit ansprechen können, und
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