SchrottT (German Edition)
Sicherheit eine Bedeutung, die er im Moment nicht erfasste. Er nahm sich vor, darüber nachzudenken, wenn seine Aufregung nachgelassen hatte. Tatsächlich klopfte sein Herz bis zum Hals, sodass er automatisch in dessen Takt die Fingerknöchel gegen die polierte, blinde Glastür hämmerte.
Die öffnete sich mit einem leisen Klicken, aber es stand niemand dahinter. Noch so eine technische Spielerei: eine Fernbedienung für die Zimmertür. Colin nahm sich vor, auf alles gefasst zu sein.
Es funktionierte nicht.
Als er einige Schritte in die Mitte des Raumes gemacht hatte, wusste er nicht, weswegen sein Unterkiefer herunterklappte: wegen der fantastischen Aussicht aus den Cinemascope-Panoramafenstern, hinter denen die nächtlichen Feuer in den Slums geradezu romantisch aussahen? Wegen des prasselnden Kaminfeuers oder der treibenden Ethno-Sounds, die aus verborgenen Lautsprechern trommelten? Wegen der schwarzen Perle, die ihre nackten Antilopenbeine in die Luft streckte, aneinanderrieb und keinesfalls Anstalten machte, vor dem herankommenden Löwen zu fliehen? Oder wegen des dicken, flauschigen Stimmungsteppichs mit berührungsempfindlichen Glasfaser-Lichtleitern, auf den Colin bestimmt gleich sabbern würde?
»Mein Name ist Lydia«, sagte der sinnlichste Mund, den Colin jemals gesehen hatte. Sicherheitshalber drehte er sich um, aber Miss Afrika im Bikini schien wirklich mit ihm zu reden, mit niemandem sonst.
»Hi. Ich bin Colin.«
»Natürlich bist du das«, hauchte Lydia. »Du hast mich warten lassen.«
»Äh«, machte Colin, »tut mir leid. Der Verkehr, unten in den, äh …« Das Wort »Slums« wollte ihm nicht über die Lippen. Es schien unpassend für das Ambiente, wäre vermutlich von irgendeiner Hygieneeinrichtung weggesaugt und im Müllschacht des Hotels entsorgt worden.
»Ich mache uns einen Drink«, sagte Lydia und setzte zu einer Art Tanz an. Colin fand es erstaunlich, dass jemand auf Beinen, die man eher unter einem antiken Tisch vermutet hätte, lautlos laufen konnte. »Mach es dir doch bequem«, sagte Lydia, während sie an die geschwungene Granitplatte des Küchentresens trat und anfing, mit Flaschen und Gläsern zu hantieren.
Colin schlüpfte aus seinen Schuhen, deren Sohlen eine tödliche Beleidigung für den weichsten Bodenbelag der Weltgeschichte waren, und ließ sich um ein Haar auf dem Sofa nieder. Im letzten Moment entschied er sich für einen weinroten Plüschsessel, der nach Zimt und Muskat roch. Oder wie dieses indische Gewürz, dessen Name ihm gerade nicht einfiel. Auf dem Glastisch, der von unten mit Schwarzlicht illuminiert war, lag eine Fernbedienung mit Touchscreen zwischen einer Wasserpfeife und einem dunkel eingebundenen Notizbuch.
»Dein Vater hat mir viel von dir erzählt«, schnurrte Lydia, als sie mit zwei Cocktailgläsern zurück zur Sitzgruppe getänzelt kam. Ihre schwarzen Augen waren inverse Feuer; auch ihr Zopf schien vor Hitze zu knistern – eine elektrische Verbindung zwischen Hirn und Po, so lang war er nämlich.
»Er aber nichts von dir«, entgegnete Colin und fragte sich, ob Signore Länglich ernsthaft versuchte, ihn mit exotischem Sex auf seine Seite zu ziehen. Das war zu durchsichtig. Ganz so niveaulos war der Mann nun nicht. Er war verrückt, glaubte an Orgonfelder und hatte überkommene Vorstellungen von Ehe. War er so kaltblütig, dass er ein Heißblut aus Afrika mietete, um seinen Sohn zu verführen?
Colin nahm sich vor, dieses Spiel mitzuspielen, bis er wusste, was sein Stiefvater damit bezweckte.
»Ich bin keine Hure, falls du das denkst«, sagte Lydia und kniete sich neben Colins Sessel auf den Teppich, der darauf mit sanften Gemälden aus rotem Licht reagierte. »In meiner Heimat bin ich eine Lehrerin der … Fruchtbarkeit.« Ihre unendlich langen Finger schlichen sich Colins Unterschenkel hinunter und verharrten an seinem Knöchel.
»Von so etwas habe ich noch nie gehört«, gab Colin zu.
»Der schwarze Kontinent birgt viele Geheimnisse, von denen Europa nicht die geringste Ahnung hat«, erklärte Lydia mit der Geduld einer Sanddüne. »Du hast heute die Möglichkeit, ein oder zwei dieser Geheimnisse kennenzulernen.«
»Wie komme ich zu dieser Ehre?«, fragte Colin. Er konnte das Prickeln nicht unterdrücken, das Lydia an seinen Füßen verursachte und das langsam seine Beine hinaufwanderte. Etwas verbot ihm, die Frau einfach von sich zu stoßen. Sie wirkte so zerbrechlich, und er wollte nicht, dass der Abend damit endete, dass er sie trösten
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