Schubumkehr
die Taschenlampe ein und las unter der Decke ein Buch. Jetzt war er endlich fort, nicht mehr in diesem Schlafsaal. Unter seiner Decke war der glimmende Lichtschein im Dunkel.
War es so? Das blieb im dunkeln. Aber wie einfach war sie jetzt wiederherstellbar, diese über allem Schmerz zerfließende Wonne: Da waren seine Bücher von damals. Und da war seine neue Taschenlampe.
15.
Untergänger, das war quasi ein österreichischer Amtstitel, also hier in der Gegend, bis rüber nach Oberösterreich, und in Süddeutschland gab es Untergänger, das waren Respektspersonen, die
Wer ist denn das? Was redet er da? Ich habe Untergänger verstanden.
Ich auch. Auf der Kassette steht
bis achtzehnhundertsechzig, siebzig, ungefähr, so genau weiß ich das auch nicht, zum Teil aber noch bis zum Ende der Monarchie, also hier in der Gegend auf jeden Fall bis zum Ende
Herr Ölsand, oder Ölzant, Der Untergänger, mehr steht hier nicht. Gehen Sie noch einmal zurück! REW.
PLAY. Untergänger, das war quasi ein österreichischer Amtstitel, also hier in der Gegend, bis rüber nach Oberösterreich, und in Süddeutschland gab es Untergänger, das waren Respektspersonen, die sehr sorgfältig ausgewählt wurden, weil das war ja eine heikle Aufgabe, der Untergang. Untergänger gab es bis achtzehnhundertsechzig, siebzig, ungefähr, so genau weiß ich das auch nicht, zum Teil bis zum Ende der Monarchie, also hier in der Gegend auf jeden Fall bis zum Ende der Monarchie, wenngleich am Schluß der Untergang natürlich schon mehr ein Volksfest war als wirklich eine nötige Amtstätigkeit. Mein Großvater war damals aber noch ein offizieller Untergänger, einer der vier letzten Untergänger von Komprechts, das war, glaube ich, überhaupt das letzte Untergängerkollegium von Österreich. Von Deutschland weiß ich nicht, die Deutschen waren uns da ja voraus, was amtliche Vermessungen und Karten betrifft, Grundbücher und so weiter, also ich glaube, dort sind die Untergänger sicher schon viel früher – ja, untergegangen, sozusagen.
Der Mann lacht und zuckt die Achseln. Er sitzt auf einem Steinblock, ein Bein steif nach vorn gestreckt, sehr grobe, feste Schuhe, eine Schürze, ein dickes Flanellhemd, auf dem Kopf trägt er ein an den Enden geknotetes Taschentuch.
Wahrscheinlich ein Steinbrucharbeiter, der
Höchstens ein ehemaliger, ein pensionierter
Wieso? Der Mann ist doch höchstens sechzig.
Ja, aber der Steinbruch ist geschlossen und
Vielleicht ist er sozusagen ein Ausstellungsstück, ich meine, der Steinbruch ist doch jetzt ein Museum, und er ist vielleicht als typischer Arbeiter ausgestellt.
Von der rechten Hand des Mannes steigt Rauch auf, als würde sie glosen, Zoom, nun sieht man das Filterstück einer Zigarette zwischen seinem Daumen und dem Zeigefinger, die Zigarette selbst ist von der hohlen Hand abgedeckt.
Als sich Roman zum Frühstückskaffee eine Zigarette in den Mund steckte, gab seine Mutter ihm Feuer, sehr aufmerksam, sehr liebevoll, geradezu erleichtert, als hätte sie schon ungeduldig darauf gewartet, daß er endlich rauchen würde. Verwundert sah er sie an, und als sie aufstand, lächelnd, triefend vor Begeisterung über den Sieg, den sie errungen hatte, und den sie nun genüßlich auskosten, den sie zelebrieren wollte, wußte er plötzlich Bescheid. Das war also der Grund für ihren triumphierenden Gesichtsausdruck gewesen, als sie ihn von der Bahn abgeholt hatte. Es hätte ihm auffallen müssen. Er hätte es sich denken können. Nun, drei Tage später, war es, wie sie dann sagen sollte, amtlich. Sie hatte es geschafft. Plötzlich stand die Badezimmerwaage da, plötzlich stand seine Mutter auf der Waage, Das ist deine letzte Zigarette, Romy! Sie riß die Arme hoch, wie ein Sportler, der das Zielband durchrissen hat, sie schwenkte jubilierend ein Fähnchen – Was für ein Fähnchen? Das war ein Blatt Papier, der Vertrag, den er unterschrieben hatte, was war nur mit seinen Augen los?
Warum hörte er wirklich zu rauchen auf? Er hätte außer Haus, auf seinen Spaziergängen, auf dem Hochsitz, jederzeit unbehelligt rauchen können, ohne daß seine Mutter je davon erfahren hätte, es hätte genügt, lediglich nicht mehr vor ihr zu rauchen, während der verhältnismäßig kurzen Zeitspannen, die sie bei den Mahlzeiten beisammensaßen. Aber er versuchte es wirklich, sein Versprechen zu halten, nicht nur weil es eben ein Versprechen auf Ehrenwort war, das er sogar schriftlich gegeben hatte, sondern vielleicht auch deshalb, weil
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