Schubumkehr
ununterbrochen an den Hebeln und Klappen, man konnte klipp und klapp, surr oder sirr machen, aber es änderte sich nichts grundsätzlich daran, daß ihm ununterbrochen ein Luftstrom ins feuchte Haar fuhr. Dazu diese stoische Ruhe und Unbeteiligtheit von Richard. Sie war zum Aus-der-Haut-Fahren. Romans Angst vor Erkrankung und zugleich die Aufgeregtheit, weil er nun endlich auf dem Weg war zum Bahnhof, zum Zug nach Wien, in die Freiheit und Selbstbestimmtheit, machte ihn so überreizt, daß er das Gefühl hatte, zu platzen, wenn er nicht Dampf ablassen würde, durch Fluchen oder durch Schwelgen, durch Gezeter über die Autobelüftung und die gesetzliche Vorschrift, daß man sich anschnallen müsse, oder durch euphorisches Ausmalen der Pläne, die er für Wien hatte. Aber das ging nicht. Der Mann redete ja kein Wort. Abgesehen davon war es wohl grundsätzlich unmöglich, ihm von seinen Plänen oder Sehnsüchten zu erzählen, diesem Mann, der eine fast zwanzig Jahre ältere Frau geheiratet hatte und freiwillig auf einen Bauernhof gezogen war, das war kein Geschlechts- und Altersgenosse, sondern etwas seltsam Jenseitiges, wie sollte da Kommunikation möglich sein? Wenn Richard überhaupt etwas begreifen würde von dem, was er jetzt so gerne erzählt hätte, er würde es womöglich dann der Mutter weitererzählen, und diese Vorstellung machte Roman gleich noch wütender. Bedächtig lenkte Richard den Wagen über die Landstraße, verringerte gelegentlich noch das Tempo, wenn er interessiert rechts oder links auf etwas schaute, was schaute er da so neugierig? Da war nichts. Plattes Land. Was war da so interessant? Kein Wort. Das einzige, was Richard gesagt hatte, war, gleich nach dem Losfahren, daß Roman sich anschnallen möge. Jetzt zerknitterte der Sicherheitsgurt sein frischgebügeltes Hemd – Roman versuchte den Schaden möglichst gering zu halten, indem er nicht nur den Bauch, sondern irgendwie auch den Brustkorb einzog und den Gurt mit seinem rechten Daumen unauffällig ein wenig wegspreizte, flach atmend saß er da und hatte das Bedürfnis zu reden und zu reden und zu reden. Zum ersten Mal ging ihm Richards Schweigsamkeit auf die Nerven, die er stets als so beruhigend und erleichternd empfunden hatte, wenn sie zu dritt beisammengesessen waren, mit seiner Mutter und ihrem stetigen Gequatsche – Richard wenigstens hatte immer stoisch geschwiegen. Jetzt aber suchte Roman krampfhaft nach einem Satz, der irgendein Gespräch eröffnen konnte und aus dem weitere Sätze wie von selbst herausfallen konnten, aber es fiel ihm nichts ein, es war unerträglich. Schweigend, schweigend, schweigend fuhren sie bis zum Bahnhof, und dann, am Ende, sagte Richard zu ihm – Romy! Er sagte: Machs gut, Romy! Und Roman war so außer sich, daß er unfähig war, ein Wort des Dankes herauszubringen, und ein Wort der Verabschiedung, nur ein Krächzen, das beides ersetzte.
Nein, bitte, kein Wort. Laß mich in Ruhe. Es half nichts. Er hatte sich von all den Sätzen der Fürsorglichkeit, die zwischen Bahnsteig und Auto aus ihr herausgesprudelt waren, noch nicht beruhigt, ob es ihm gut gehe, ob ihm nicht kalt sei, ob sie ihm etwas abnehmen könne, wenigstens diese Tasche, er hatte sich noch gar nicht richtig auf dem Beifahrersitz zurechtgesetzt und eben erst schroff ihr Ansinnen, daß er sich anschnallen möge, abgewiesen, da begann sie schon mit ihren Fragen, wie es in Wien gewesen sei, Erzähl, Romy, so erzähl doch. Seine Mutter war unfähig, hundert Meter mit dem Auto zu fahren ohne zu reden, ihn mit Fragen zu löchern, irgend etwas zu erzählen, eine Ziege hatte Junge bekommen, eine Katze sei ihnen zugelaufen, sie würden diese Katze Romy nennen, weil sie gerade von ihm gesprochen hatten, als die Katze plötzlich dagewesen sei, so erzähl doch Romy, wie war es in Wien? Was heißt, wie soll es gewesen sein? Das frag ich dich ja. Was heißt, was will ich wissen? Ich weiß ja nicht, was du vorgehabt hast in Wien, alles will ich wissen. Das hab ich befürchtet. Er schloß gequält die Augen, sie lachte. Ich meine, warst du erfolgreich? Was meinst du mit erfolgreich? Na, ist alles so gelaufen, wie du es erhofft hast? Ich habe nichts erhofft. Das Wort erhofft sprach er aus, als würde es ihn schütteln vor Ekel. Warum konnte sie den Mund nicht halten? Als er angerufen hatte, um zu bitten, daß man ihn vom Bahnhof abhole, hatte er gedacht, daß Richard kommen werde, aber nein, seine Mutter hatte gleich selbst kommen müssen, und er war unfähig
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