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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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zu sprechen. Und warum schaute sie immer so triumphierend?
    Du wirkst so gedrückt, Romy, ist etwas passiert? Laß mich in Ruhe! Ob er sich gleich die jungen Ziegen anschauen wolle? Nein. Später. Er drückte seiner Mutter die Schmutzwäsche in die Hand und verschwand in seinem Zimmer. Die Ziegen. Erst jetzt, in dieser kleinen Zelle fiel ihm ein, daß er sich in Wien wenigstens um einen neuen Paß hätte kümmern können. Warum hatte er nicht gleich einen neuen Paß beantragt? Wien. Er brauchte doch nichts so dringend wie einen Paß.
    Später ging er mit dem Papierkorb in den Stall. Begonnene und abgebrochene Briefe nach Brasilien. Er kippte den Papierkorb über den Verschlag in die Futterkrippe der Ziegen.
    In der Nacht konnte er lange nicht einschlafen. Obwohl diese irritierenden Geräusche aus dem Nebenzimmer nicht lange zu hören waren, aus dem Elternschlafzimmer, wie seine Mutter es infamerweise bei der ersten Führung durch das Haus genannt hatte. Waren diese Geräusche wirklich zu hören, oder phantasierte er? Er stand auf, öffnete leise seine Zimmertür und horchte hinaus. Kein Zweifel. Das war. Das konnte nichts anderes sein als. Er legte sich wieder in sein Bett, hörte – nein, er sah. Er sah sich selbst, wie er auf dem Bett des Hotelzimmers gesessen ist, in Wien, in der Stadt, in der er aufgewachsen war und studiert hatte, in dieser Stadt ist er in einem Hotel gewesen, und er sah sich, die dritte Nacht in diesem Hotel, allein auf dem Hotelbett sitzen und sein Geld zählen. Und er hörte – nein, nun hörte er nichts mehr, es war wieder ganz still, dann hörte er das Quaken der Frösche vom See her, und noch lange starrte er in die Dunkelheit.
13.
    Roman filmte den Mann, der alleine im Steinbruch arbeitete, obwohl doch angeblich niemand mehr dort beschäftigt war, als er plötzlich sah, daß dieser Mann aufblickte, herschaute, das Stemmeisen fallen ließ, nicht aber den Hammer, den er drohend hob, worauf er herzulaufen begann, so schnell er konnte, er konnte nicht sehr schnell, er hatte ein steifes Knie, aber er lief her, diesen groben Hammer in die Höhe haltend, schreiend, was schrie er?
    Roman verstand nichts, er ließ die Kamera sinken, der Mann kam näher, ganz schnell, ganz langsam, die Bewegungen dieses Mannes waren hektisch und aufgebracht, zugleich schleppend und gleichsam demontiert, zerlegt in eine aufwendige Abfolge von Unterbewegungen, deren schnelle Aneinanderreihung ihm viel Mühe zu bereiten schien, das eine Bein vorwerfen, das andere nachziehen, das Gleichgewicht finden, mit einem kurzen Flügelschlag der Ellenbogen, dann die Hand mit dem Hammer wieder heben, das eine Bein vorwerfen, das andere nach kurzem schwankendem Verharren nachziehen, und so weiter, der Eindruck, daß dieser Mann auf ihn zustürmte und zugleich, daß er auf ihn zukroch, machte Roman starr, einen Moment lang sah er nur den Hammer in der Hand des Mannes, dahinter die steil aufschießende Felswand, als wäre sie gerade mit diesem Hammer aufgespalten worden, ein Schlag dieses Mannes, und die Erdkruste brach siebzig Meter tief auf, dieser Mann, der sich so schnell bewegte wie ein Stein, der unter Tag an Stein rieb und in tausend Jahren eine Erdfalte aufwarf, und zugleich wie ein Stein, der stürzend und springend, von jemandem losgetreten über die Terrassen und Klüfte hüpfte.
    Roman hob die Hände, in der rechten die Kamera, die durch die Halteschlaufe an der Handfläche klebte, er wollte ein beruhigendes, ein begütigendes Wort – aber was? Er wußte nicht, was diesen Mann so beunruhigte, also wußte er auch nicht, was ihn beruhigen könnte. Außerdem war das einzige, was ihm einfiel, der, wie er gepeinigt dachte, lächerliche Satz: Ich komme als Freund! So stand er schweigend, bewegungsunfähig, mit erhobener Kamera, und wartete ergeben auf den Mann mit dem erhobenen Hammer.
    Nein, er sei kein Spitzel, nicht von den Eigentümern des Steinbruchs beauftragt, nein, er filme ihn nicht, um ihn anzuzeigen, er sei nur ein Tourist, sozusagen ein Tourist.
14.
    Wo sind meine Bücher?
    Welche Bücher?
    Na meine Bücher, die da im Regal waren.
    Deine Kinderbücher?
    Ja.
    Aber du hast doch gesagt, ich soll alles
    Aber doch nicht meine Bücher!
    Nach dem Tod seines Vaters fiel für ihn die Welt zusammen auf die Größe eines Betts, in dem man sich die Decke bis über den Kopf zieht und starr in die Dunkelheit hineinatmet.
    Ein rätselhaftes Gefühl, viel rätselhafter noch als der Satz von Onkel Ossi, beim Begräbnis, als

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